Gelsenkirchen. Vor 135 Jahren gründete Franz Jungmann seine Lederwarenhandlung in Gelsenkirchen. Was dereinst mit Ledersätteln und Trensen für die Grubenpferde der heimischen Zechen begann, ist heute ein Familienunternehmen mit den unterschiedlichsten Lederutensilien - vom Trendsetter bis zum edlen Klassiker.

Man schrieb das Jahr 1879, als Franz Jungmannn sein Lederwarengeschäft an der Hauptstraße 30 im „Hexenhäuschen“ eröffnete. Es war das Jahr, in dem das Königliche Amtsgericht Gelsenkirchen gegründet wurde, die Köln-Mindener-Eisenbahn schon in Gelsenkirchen hielt und immer mehr Bergarbeiter aus Masuren kamen, um hier unter Tage zu arbeiten. Und so waren es auch Ledersättel und Trensen für die Grubenpferde in den heimischen Zechen, mit denen die Familie Jungmann anfangs vor allem ihr Geld verdiente.

Daneben waren in jenen Jahren Schuhreparaturen und Verkauf von Lederteilen und Absätzen das Hauptgeschäft. Schuhe besohlte man damals aus Kostengründen selber, Zuschnitte kaufte man bei Jungmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den das Hexenhäuschen gut überstand, waren zunächst auch Reparaturen gefragt. Doch bald schon waren Taschen und Koffer der Renner. Letztere waren in den 60er und 70er Jahren meist aus grünem oder bordeauxrotem Skai-Kunstleder. Skai war günstig und leicht, schließlich hatten Koffer damals noch keine Rollen.

Die Urenkel bremsten Kroko-Leder als Statussymbol

Schultornister sind schon seit Jahrzehnten ein wichtiger Faktor im Sortiment. Jungmann lädt zu eigenen Messen zum Thema, wo auch Physiotherapeuten Tipps geben für den orthopädisch richtigen Ranzen.
Schultornister sind schon seit Jahrzehnten ein wichtiger Faktor im Sortiment. Jungmann lädt zu eigenen Messen zum Thema, wo auch Physiotherapeuten Tipps geben für den orthopädisch richtigen Ranzen. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Repariert wird heute im Geschäft immer noch auf Wunsch. Nachhaltigkeit und hohe Qualität sind Brigitte (52) und Karsten Jungmann (51), den Urenkeln, wichtig: „Eine gute Ledertasche kann man vererben.“

Seit 1987 führen sie das Geschäft, jetzt an der Hauptstraße 3. Als sie den Laden von Oswald Jungmann übernahmen, haben sie die Jagd nach exotischen Statussymbolen, die in den 60er und 70er Jahren boomten, gebremst. Handtaschen, Koffer, Portemonnaies, Aschenbecher – alles war mit Krokodilleder überzogen. Man zeigte gern, was man sich leisten konnte. Mit dieser Art von Exklusivität machten die Junioren Schluss, verbannten Exotenleder, ohne auf Außergewöhnliches zu verzichten.

Jungmann setzt auf Design, Qualität und Nachhaltigkeit. Im Bild links Brigitte und Karsten Jungmann, rechts Petra Wingart und Barbara Ehlert, die schon seit Jahren zum Team gehören.
Jungmann setzt auf Design, Qualität und Nachhaltigkeit. Im Bild links Brigitte und Karsten Jungmann, rechts Petra Wingart und Barbara Ehlert, die schon seit Jahren zum Team gehören. © WAZ | WAZ

Heute führt Jungmann neben den großen Marken wie Samsonite, Titan, Bree und Louis Vuitton auch viele Artikel von jungen Designern aus aller Welt, die noch vor dem großen Durchbruch stehen und daher noch bezahlbar sind. Taschendieb Wien und Anokhi sind u.a. junge Marken im Sortiment. Heute kauft man in Amsterdam auf der Messe ein. „Die Niederländer sind Trendsetter. Früher liefen alle wichtigen Ledermessen in Offenbach, dort war das Zentrum der Lederwarenindustrie“, erinnert sich Karsten Jungmann.

Günstige Eigenmarke mit individuellem Design

Ob Aschenbecher, Flasche oder Zigarettendose – alles war mit Krokodilleder überzogen.
Ob Aschenbecher, Flasche oder Zigarettendose – alles war mit Krokodilleder überzogen. © privat | Unbekannt

Auch eine eigene Linie hat man im Sortiment. Solide Koffer mit individuellem Design zu günstigen Preisen. Außerdem gibt es Schmuck, Gürtel und natürlich Schulranzen. Die Orientierung im Internet nutzen die Jungmänner gern, auch Facebook. Online verkauft wird aber nicht. „Wir kennen unsere Kunden, zum Teil über Generationen. Der persönliche Kontakt ist wichtig. Wenn jemand etwas wirklich gern möchte, aber darauf sparen muss, reservieren wir auch gern. Kundenservice ist sehr wichtig,“ betont Brigitte Jungmann, die für das Geschäft ihre Arbeit in einer Düsseldorfer Werbeagentur aufgegeben hat – und es nie bereute.