Gelsenkirchen. . Günter Ruddigkeit gehört zu den Kindern und Jugendlichen, die das Nazi-Regime vor Kriegsende noch einzog, um die letzten Stellungen zu retten. Der Gelsenkirchener erlebte auf dem Gelände an der Grothusstraße im Juni 1944 seine schlimmste Nacht des Lebens.

„Es war die Nacht vom 12. auf den 13. Juni 1944“, erinnert sich Günter Ruddigkeit, „als bei einem Großangriff das gesamte Werk von Gelsenberg zerstört wurde.“ Der damals 15-Jährige war als Luftwaffenhelfer eingeteilt, stand an den Kanonen auf dem Gelände zwischen Grothusstraße und Kanal.

Seine Geschichte beginnt im Dezember 1943. Unter dem Motto: „Mit 15 an die Kanonen. Die Heimatfront braucht euch!“ wurden Günter Ruddigkeit und seine Klassenkameraden der Jahrgänge 1927/1928 aus dem Lager der Kinderlandverschickung in Breznice abberufen. „Ich sehe noch heute unsere Gruppe, alle in Winteruniform, auf dem Weg zum Bahnhof marschieren“, erzählt er.

Am 12. Januar 1944 begann das persönliche Kriegskapitel am Batteriegefechtsstand der leichten Flak am Fürstenbergstadion in Horst. „Nach dem Empfang der Luftwaffenhelferausrüstung- und Ausgehuniform, Drillich und einen viel zu großen Stahlhelm in der Kleiderkammer gegenüber dem Horster Krankenhaus, wurden wir in Gruppen von sechs bis acht Helfern einzelnen Zügen in Horst zugeteilt“, erzählt der Senior, der sich noch genau an diese Tage erinnert.

Schlimme Nacht im Juni 1944

.Über zu scharfen Drill oder unwürdige Behandlung, so erzählt er, konnten sich die Jungen damals nicht beschweren, dafür aber über zu wenig Schlaf. Denn egal zu welcher Tageszeit – wenn Alarm gegeben wurde, mussten die Luftwaffenhelfer an den Geschützen ausharren, bis es Entwarnung gab. „So gingen wir morgens oft müde und unkonzentriert zum Schulunterricht in den Räumen der Ludwig-Knickmann-Schule an der Urbanusstraße.“

Klassenkameraden fielen

Günter Ruddigkeit wurde kurzzeitig an die Zechenbahn in Heßler, nahe der Melanchthonstraße, versetzt, ehe er an das Gelände an der Grothusstraße kam, wo er den für ihn „schlimmsten Bombenangriff des Krieges“ erlebt hatte. „Die Erde bebte, ein Höllenlärm tobte von der herabstürzenden Bombenteppichen und den nicht enden wollenden Detonationen. Der nächtliche Himmel war hellrot vom Flammemeer des brennenden Werkes erleuchtet“, erzählt Ruddigkeit von der Nacht im Juni 1944.

An zahlreiche Einschläge in allernächste Nähe erinnert sich der Senior heute und trotzdem gab es glücklicherweise keine Verluste zu beklagen. „Meine Klassenkameraden Kurt Enge, Manfred Dröse und Karl-Heinz Sokolowski sind jedoch durch einen Volltreffer auf dem Rennbahngelände gefallen und mit ihnen über dreißig weitere Mitglieder unseres Regimentes.“

Wie der kriegerische Wahnsinn dann weiterging 

Seine Kameraden wurden auf dem Westfriedhof in einer bewegenden Trauerfeier mit militärischen Ehren, wie Ruddigkeit es beschreibt, beigesetzt. „Aber der kriegerische Wahnsinn ging weiter und ließ uns keine Zeit zum Nachdenken“, so beschreibt der 84-Jährige das Gefühl, vor den in Reihe aufgestellten Särgen der Kameraden zu stehen, die mit Fahnen abgedeckt waren.

Heute liegen die Kameraden auf dem Hauptfriedhof in Buer, wo Günter Ruddigkeit oft innehält, wenn er dort vorbeikommt.

Unterricht im Schatten der Flak

Der Krieg ging trotz der Opferzahlen weiter. Ruddigkeit wurde an die schwere 12,8 cm-Flak bei Bauer Becks in Beckhausen beordert. Hier fand nun auch der Unterricht statt, damit die Helfer jederzeit und uneingeschränkt für den Einsatz in der Batterie zur Verfügung standen – sowohl in der Geschützabteilung als Richtkantoniere, als auch in der Messabteilung. Das war die letzte Station, bevor der Krieg endete.

Im Januar 1945 wurde Ruddigkeit mit den Hinweis entlassen, dass ihm eine Einberufung zum RAD (Reichsarbeitsdienst) bevorstünde. Doch diese blieb aus. Mit nun 16 Jahren und vom Krieg fgezeichnet schied er aus. „Ein geregelter Schulunterricht wurde nicht mehr angeboten“, sagt er.