Still trägt eine Frau, ganz in weiß gekleidet, ihren Protest vor sich her: „Ich will mein Gelsenkirchen wieder zurück“ hat sie auf ein Plakat geschrieben. Lautstark verschaffen sich ein Stück weiter am Goldbergplatz andere Gehör. Das „Bündnis gegen Rechts“ will „Nazis und rechten Populisten“ die „Rote Karte“ zeigen. Piraten, Linke, Antifaschisten, AUF und MLPD stehen am Straßenrand. Die Horster Straße wird zu einer Art Demarkationslinie, die Polizei bezieht Position mit sechs Mannschaftswagen und behält die Parteien im Blick. Es wird bei lautstarken Redeschlachten bleiben: Hüben gut 80 Gegendemonstranten mit Megafon und viel rotem Fahnentuch, drüben 18 Vertreter von Pro NRW mit Lautsprecheranlage und wehenden Deutschland-Fahnen. Kurz nach 13 Uhr fahren die reisenden Polit-Propagandisten von Pro NRW vor – in abgedunkelten Kleintransportern mit HH im Kennzeichen. „Vielfalt statt Einfalt“ und „Ihr könnt nach Hause gehen“ schallt ihnen entgegen. Und der Ärzte-„Schrei nach Liebe“. „Hass ist deine Attitüde, ständig kocht dein Blut“ heißt es in dem Song. Doch die Rechtspopulisten geben sich zunächst kühl lächelnd, scheinen den heißen Empfang eher als Aufwertung zu verstehen. Sie präsentieren sich als die wahren Demokraten, als Sprecher der schweigenden Mehrheit und schmähen die Gegner gegenüber als „Ewiggestrige“. Kevin Hauer, ihr lokaler Stadtverordneter, bleibt lange in der zweiten Reihe und gibt dann doch noch den großen Agitator. „Ihr seid keine Proletarier, ihr seid Proleten der untersten Schicht“, ätzt er und unterstellt den Kritikern: „Sozialmissbrauch gilt nicht nur für Ausländer.“
„Diese Stadt hat Nazis satt“, tönt ihm umgehend entgegen. Zwei junge, bärtige Männer im Kaftan, die zuvor auf der Hochstraße Koran-Ausgaben verteilten, stehen da längst mit am Demo-Ort, Bier trinkende Schalke-Fans in Kutten ziehen vorbei. Die Szenerie wirkt bizarr – und manch Passant registriert sie nur mit Kopfschütteln.