Die Neue Synagoge öffnet sich dem interreligiösen und -kulturellen Dialog in dieser Stadt und auch in der Region. Ein alltäglicher Spagat zwischen den gelebten Traditionen und dem neuen Aufgeschlossen sein

Sie sitzen in Reih' und Glied: zehn Damen, neun Herren. Sie singen, angeleitet von Boris Kuferstein, „Shalom” - vom Frieden in der Welt, von der Hoffnung und Sehnsucht aller. „Shalom” klingt wie ein Appell an uns alle: fröhlich, herzlich, sympathiegewinnend. Jeden Dienstag trifft sich der Chor der jüdischen Gemeinde im Saal der Neuen Synagoge an der Georgstraße. Zwei Stunden lang wird geprobt. Religiöses, Dialoge mit Gott, Volkslieder in verschiedenen Sprachen gehören zum „Pflichtprogramm”, wie Kuferstein einräumt. Begleitet wird das Vokalensemble („Der Gesang hält uns jung,” sagt einer aus der Runde) von Fira Klimovitskaja am Klavier. „Die meisten von uns können keine Noten. Die Lieder gehen über den Kopf!” Das Herz singe deshalb immer mit. Vereint sind in dieser Formation Weissrussen, Ukrainer, Deutsche, Russen, Polen. So wie diese Gruppe bindet die Synagoge viele aktive Kreise. Vorsitzende Judith Neuwald-Tasbach: „Wir haben das große Glück, dass durch den Neubau an ursprünglicher Stelle mitten in der City viele Impulse ausgesendet werden. Die gesamte Kulturarbeit wurde animiert und motiviert.” Drei Religionsklassen, eine Theaterschar, Kinderchor, je ein Frauen- und ein Männerverein „besetzen” fast täglich die Räume. Der Gottesdienst schließlich vereint orthodoxe und aufgeschlossene Juden im Gebet, im Austausch mit dem Rabbiner. Neuwald-Tasbach: „All' diese Gemeinsamkeiten fördern ein zukunftsweisendes Wir-Gefühl. Wir - das bedeutet aber auch ganz Gelsenkirchen mit allen wohlgesonnenen Menschen. Wir öffnen unsere Türen, um mit ihnen zu feiern und zu weinen, den Alltag und die Hoch-Zeit zu teilen. Wir leben in dieser Stadt, wir sind ein Teil von ihr, auch von der Bevölkerung.” So oft wie möglich lädt daher die Gemeinde Andersgläubige ein bei Konzerten, Lesungen, Ausstellungen, Kochkursen. Man wolle das Vorurteil widerlegen, gläubige Juden seien eine verschlossene, gar verschrobene Gemeinschaft. Das Leben schließt mit dem Tod. Da sind die Menschen aller Religionen und Kulturen gleich. Das Sterben im jüdischen Kulturkreis folgt eigenen Gesetzen - wie fast alle Traditionen dieses Volkes auf jahrtausendealte Riten zurück geht, so kennt die hiesige Gemeinde auch in diesem Bereich Regeln. Neuwald-Tasbach: „Wir haben einen Bestattungskreis, der dem Toten die letzte Ehre erweist, ihn nach altem Brauch wäscht und in einem einfachen Holzsarg beeerdigt. Luxuriöses wird abgelehnt.” Stolz ist die jüdische Gemeinde auf ihre fünf Thora-Rollen im Gebetssaal hinter dem Altar. „Nur der Rabbiner oder Thora-erfahrene Mitglieder dürfen aus ihr die alten Texte vortragen. Uns Frauen ist dies nicht erlaubt. Ich halte mich daran.” Diesen Spagat, hier eine moderne, emanzipierte Frau zu sein, dort sich den orthodoxen Traditionen zu unterwerfen, gehe sie „unkompliziert wie viele andere jüdische Frauen täglich an”. Sobald sie die Synagoge betrete, verändere sich „die private und religiöse Situation”. Sie erkenne diese als „Einbindung in den Gesetzesfundus an”. Judith Neuwald-Tasbach, die „letzte Gelsenkirchenerin aus der alten Neuwald-Familie”, erzählt mit Freude und Stolz die Erfolge der jüdischen Gemeinde auf: „Unser Chor singt bei Festivals in Dortmund oder Düsseldorf, wir werden von einem engagierten und ambitionierten Förderverein unter Leitung von Elmar Alshut unterstützt, unser Theater spielt an vielen Orten, das große Interesse an Führungen durch die neue Synagoge reißt nicht ab. Demnächst können wir die ehemalige Synagoge in ein Dokumentationszentrum umwandeln. Anfang 2009 wollen wir mit Gleichgesinnten und Förderern jüdische Kulturtage beginnen.” Das alles sei nur möglich, weil „wir uns verstehen, weil das Harmoniebedürfnis alle inspiriert, weil wir uns als große gemeinsame Religions- und Kulturachse begreifen. Und wir haben einen Ort, der als Zentrum beansprucht wird. Wir leben das Motto, das innen und außen an dem Gebäude steht: Mein Haus ist ein Haus der Gebete für alle Völker.” Die Gesamtpalette des kulturellen Austauschs beinhalte auch das Kochen und alte Rezepte: „Unser koscheres Essen findet immer mehr Freunde. Vor allem, wenn sie zuvor einen Kochkurs bei uns besucht haben.” In Kürze steht ein Benefiz-Menü mit Leberhäckele, Fischbällchen, Tafelspitz vom Kalb mit Matzeklößchen und Hamangebäck an. „Freundschaften gehen eben auch durch den Magen.” Wer Chanson und jüdische Lieder genießen will, sollte sich schon einmal den 12. Oktober vormerken: Dann gastiert Marina Kalmykova aus Lettland - „ein großer Star”. Beim Verlassen der Synagoge klingt das „Shalom” des Chores nach .