Gelsenkirchen. . Weil eine Post-Zustellerin wegen ihrer Chemotherapie die Arbeit unterbrach, erhielt sie die fristlose Kündigung. Die Deutsche Post AG hatte die krebskranke Mitarbeiterin von Detektiven verfolgen lassen und ihr Arbeitszeitbetrug vorgeworfen. Das Arbeitsgericht gab der Klage der 44-Jährigen auf Weiterbeschäftigung Recht.

Seit 23 Jahren ist die Zustellerin K. für die Post im Einsatz. Jetzt wollte die Deutsche Post AG ihre 44 Jahre alte Mitarbeiterin loswerden. Der Arbeitgeber warf ihr vor, die Pause überzogen zu haben. Er drohte mit einer Anzeige wegen Arbeitszeitbetrugs und einer fristlosen Kündigung.

Die verzweifelte Frau, krebskrank und zu 80 Prozent schwerbehindert, fühlte sich so stark unter Druck gesetzt, dass sie einen Auflösungsvertrag unterschrieb. Den widerrief sie später und klagte vor dem Arbeitsgericht auf Weiterbeschäftigung. Die 5. Kammer des Gerichts gab der Frau Recht und erklärte den Vertrag für unwirksam. Die 44-Jährige muss weiterbeschäftigt werden und erhält rückwirkend den vorenthaltenen Lohn seit Oktober.

Die Deutsche Post AG hatte die Klägerin heimlich überwacht. Spione verfolgten die Zustellerin, die mit dem Fahrrad unterwegs war. Ein Kontrollsystem, so versichern Kollegen der 44-Jährigen, das bei der Post AG öfter praktiziert werde. Informationen an den Betriebrat erfolgten offensichtlich nicht.

Spione schossen „Beweisfotos“

Die Frau, die nach einer Chemotherapie regelmäßig Infusionen bekommt, litt Mitte August 2013 unter Durchfall, suchte in der Dienstzeit eine Apotheke auf, um dort zur Toilette gehen zu können. Das wertete der Arbeitgeber als Arbeitszeitbetrug.

Beim zweiten Fall, den ihr der Dienstherr vorwirft, hatte die 44-Jährige morgens wegen eines späteren Lymphdrainage-Termins auf die Pause verzichtet und war nach der Arbeit nach Hause und nicht ins Verteilzentrum gefahren. Bei ihrer Sechs-Stunden-Schicht hätte ihr die Pause nicht zugestanden, argumentiert der Arbeitgeber. Als Beweismittel legte er ein Foto vor, das die Kontrolleure bei ihrer Verfolgungsfahrt gemacht hatten und die 44-Jährige vor ihrem Haus zeigt.

Beim dritten Verstoß, der der Frau vorgeworfen wurde, war die Zustellerin in ihre Wohnung gefahren. Sie hatte eine Ansammlung von Lymphwasser im Arm gespürt, den sie zu Hause entstauen wollte.

Auf einen Vergleich wollte sich die Post AG nicht einlassen

Assessor Kuhlmann, Rechtsvertreter der Post AG, wollte sich auf keinen Vergleich einlassen. Die Klägerin hätte auch eine Abmahnung bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigung in Kauf genommen. Doch der Jurist, dem bewusst war, dass er den Rechtsstreit verlieren würde, setzte auf die nächste Instanz.

In Hamm erwarte er einen anderen Ansatz vom Gericht. Die Klägerin vermutet, dass die Hartnäckigkeit des Arbeitgebers andere Gründe hat. Der alte Vertrag, den sie besitzt, garantiert ihr ein viel höheres Einkommen im Vergleich zu Mitarbeitern, die heute eingestellt werden.

Unabhängig von der Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts in Hamm kann die 44-Jährige die Deutsche Post AG per Androhung von Zwangsgeld zwingen, sie wieder zu beschäftigen.