Gelsenkirchen.
Es ist eine kurze Lebens- und Leidensgeschichte, eine, die bewegt, berührt, die wütend und fassungslos macht. Und die nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Es ist die Geschichte der kleinen Bueranerin Rosa Böhmer, die im zarten Alter von zehn Jahren in den Gaskammern von Ausschwitz ermordet wurde. Weil Rosa Böhmer ein Sinti-Mädchen war. Es starb am 13. August vor nunmehr genau 70 Jahren.
Das Schicksal der Rosa Böhmer ließ vor allem einem Menschen lange keine Ruhe, ihrem ehemaligen Mitschüler Hubert Schier, einem späteren Geschichtslehrer. Auf seinen Recherchen basieren auch die Informationen, die Gelsenzentrum, der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen, veröffentlichte.
Komplette Familie ausgelöscht
Rosa Böhmer erblickte am 22. September 1933 als Tochter von Anna und Karl Böhmer in Buer das Licht der Welt. Rosa hatte die deutsche Staatsangehörigkeit und war katholisch. Die Familie von Rosa, schreibt Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte in seinem Buch „Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen“, lebte mindestens seit 1930 in Gelsenkirchen: „Anna Böhmer war der Gelsenkirchener Stadtverwaltung sicherlich besonders ein Dorn im Auge, weil die Familie von der Fürsorge unterstützt werden musste.“ Ehemann Karl Böhmer war ein 1910 in Bochum geborener Musiker. Das Paar hatte neun Kinder. Die komplette Familie wurde 1943 in den Gaskammern von Auschwitz ausgelöscht.
Zunächst aber lösten die rassenwahnsinnigen Nazis die Familie, wie tausende andere Sinti-Familien im ganzen Land, auf. Rosa kam zunächst in das so genannte Kinderheim Damianaeum in Warburg und von dort als Pflegekind zu dem kinderlosen Ehepaar Johannes Hunke nach Hövelhof im Kreis Paderborn. Hier war Rosa rasch integriert, wie sich ehemalige Mitschüler aus der Hövelhofer Kirchschule erinnerten.
Rosa wurde während der Schule abgeholt
Einer davon war Hubert Schier, der sich viele Jahre später so akribisch auf die Spur von Rosa Böhmer und ihrem kurzen Leben machen sollte. In einem Text, den er unter dem Titel „Vergessenes Schülerschicksal“ vor einigen Jahren veröffentlichte, beschreibt er, wie Rosa aus der Schule abgeholt wurde: „Während des Unterrichts betraten eine Dame und zwei Herren den Klassenraum. Nach einer kurzen, im Flüsterton gehaltenen Mitteilung an die Klassenlehrerin wurde Rosa Böhmer gebeten, ihren Tornister zu packen.“
Ihre Mitschüler sollten sie nie wiedersehen. Dabei bereiteten sich alle gerade auf ihre Erstkommunion vor. „Kranz und Kleidchen hatte ich doch schon vorbereitet, es hing alles fertig im Schrank“, sagte Pflegemutter Therese Hunke später zu Verwandten. Die Pflegeeltern hatten offenbar mit allen Mitteln versucht, Rosa zurück zu bekommen, vergeblich.
Stattdessen schrieb die Staatliche Kriminalpolizei (Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen) am 23. Juni 1943 an den Hövelhofer Bürgermeister, „dass die Einweisung des Zigeunerkindes Rosa Böhmer in das Konzentrationslager Ausschwitz und die damit verbundene Wiedervereinigung mit ihrer Mutter endgültig ist“. Gefolgt von dem zynischen Rat an die Familie, „anstelle des Zigeunerkindes ein arisches Waisenkind in Pflege zu nehmen“.
Die Erinnerung an Rosa Böhmer wach halten
Seit 2008 bemüht sich Andreas Jordan von Gelsenzentrum, dem Verein für regionale Kultur-und Zeitgeschichte, die Erinnerung an Rosa Böhmer in dieser Stadt wach zu halten. „Exemplarisch für das Schicksal der ermordeten Roma und Sinti in der Nazi-Zeit.“
In der Politik stößt er damit inzwischen auf offene Ohren. Am Dienstagabend nahm der Verein anlässlich des 70. Todestages von Rosa Böhmer schon einmal eine symbolische Umbenennung des Platzes hinter dem Bildungszentrum an der Ebertstraße in Rosa-Böhmer-Platz vor.
Prof. Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte hat bereits den Auftrag, nach einem geeigneten Platz zu suchen und ist mit Experten aus dem Katasteramt in der Stadt unterwegs, um eine repräsentative Gedenkstätte zu finden.
WAZ-Leser Hans-Herbert Bartsch hält den Platz hinter dem Bildungszentrum auf jeden Fall für nicht geeignet. Der Gelsenkirchener wohnt an der Overwegstraße und empfindet diesen Ort, „wo ständig Lastwagen und Müllautos durchfahren, als äußerst unangemessen“. Damit würde man sich nur blamieren“, befürchtet er.