Rund 100 Raubüberfälle und Einbrüche wirft die Staatsanwaltschaft fünf Gelsenkirchenern und einem Essener vor dem Landgericht Essen vor. Oft sollen ihnen Mitarbeiter von Supermarktketten bei den Überfällen auf die Filialen geholfen haben.
Essen. „Kann ich meinem Mann etwas zu trinken bringen?“ Doch der Wachtmeister wehrt ab. Zu eng dürfen die Kontakte nicht sein, auch wenn die voll besetzten Zuhörerplätze im großen Schwurgerichtssaal des Essener Landgerichtes zeigen, dass die sechs Angeklagten immer noch fest in ihren Familien verankert sind.
Raub wird den Gelsenkirchenern vorgeworfen, dazu Einbrüche. Spezialisiert hatten sie sich laut Anklage auf Filialen von Aldi, Lidl und der Post. Aber auch „Fressnapf“-Geschäfte, Filialen der Post und Bäckereiketten blieben nicht verschont. Rund 100 Straftaten wirft Staatsanwältin Heike Hantke vor der XVI. Essener Strafkammer den Angeklagten auf 164 Seiten vor. Fast zwei Stunden lang liest sie im überhitzten Saal 101 die einzelnen Delikte vor.
Schwerpunkt Gelsenkirchen
Es ist die Masse der Vorwürfe, die das Verfahren schwierig macht. Denn die Beweislage ist für die Anklägerin nicht schlecht. Nachdem der „Räuberhauptmann“ rund 150 Taten gestanden hatte, meldete sich auch der Großteil der übrigen Angeklagten. Für sie hat das Geständnis härtere Konsequenzen. Denn der Chef war Anfang 2012 zu achteinhalb Jahren Haft für neun Überfälle verurteilt worden. Danach belastete er seine Komplizen, nachdem er sich selbst Straffreiheit zusichern ließ.
Seit 2003 war die Bande aktiv. Schwerpunkt ihrer Taten war Gelsenkirchen. Etwa am 3. Dezember 2007, als fünf Mitglieder Lidl am Kärntener Ring überfielen. Eine von ihnen arbeitete dort in der Filiale, gab laut Anklage Tipps und öffnete Hintertür sowie Tresortür. Maskiert und mit einer silbernen Pistole bewaffnet drangen sie in die Büroräume ein. Die Komplizin fesselten sie nur zum Schein, ihre nicht eingeweihte Kollegin sperrten sie in die Herrentoilette. Fast 40 000 Euro erbeuteten sie.
Viele der Überfälle scheiterten auch. Während die Bande etwa mit einem Geldautomaten am Finanzamt Essen Glück hatte und dort 52 000 Euro erbeutete, scheiterten sie bei der Wiederholung in Gelsenkirchen. Zu sechst näherten sie sich am 10. Juli 2010 der Hauptpost in Gelsenkirchen. Professionell drehten sie die Überwachungskamera weg, sicherten die automatische Tür. Mit Hammer und Meißel bearbeiteten sie den Tresor, kamen aber nicht weiter. Als sie dann noch einen Radfahrer in der Nähe bemerkten, brachen sie die Aktion in der Hauptpost ab.
Für die Aufklärung der fast 100 Taten hat Richter Martin Hahnemann bislang zehn Prozesstage angesetzt. Möglicherweise kann das Verfahren aber verkürzt werden, wenn die Strafkammer einige der Anklagepunkte einstellen wird. Denn auf jeden einzelnen Fall wird es für das Strafmaß nicht ankommen