Gelsenkirchen. . Auf der traditionellen Maikundgebung in Gelsenkirchen machten sich Politik und Gewerkschaften dafür stark, Arbeitnehmer gerechter zu entlohnen und appellierten an das soziale Gewissen der Unternehmer
Das Klima ist rauer geworden, die Tonlage höher. Gewerkschaften und ihnen nahe stehende Parteien und Organisationen geißelten auf der traditionellen Kundgebung zum 1. Mai, Tag der Arbeit, Leiharbeit, Mini-Jobs und Rente mit 67. Die Botschaft: Ein Umdenken, ein Politikwechsel muss her, spätestens bei der nächsten Bundestagswahl.
2500 Zuhörer auf dem Neumarkt
Etwa 700 Menschen hatten sich bei strahlendem Sonnenschein zunächst auf dem Kennedyplatz vor dem Musiktheater versammelt, kurz darauf auf dem Neumarkt waren es nach Angaben der Polizei gut 2500 Zuhörer, die den Worten von Josef Hülsdünker, DGB-Vorsitzender Emscher-Lippe, OB Frank Baranowski (SPD) und Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Gehör schenkten.
Letzterer dürfte gestern den Wettbewerb um die lauteste Rede gewonnen haben – und auch in Sachen „Bonmot des Tages“ weit vorne gelegen haben. Mit einer gehörigen Portion Wut entlarvte Möllenberg die Tricks der Arbeitgeber, um Kosten zu sparen und Gewinne zu maximieren – per Werkvertrag etwa umgingen sie tariflich fixierte Löhne immer öfter ganz legal. Derartiges Kassemachen auf dem Rücken der Arbeitnehmer ist seinen Augen „das neue Krebsgeschwür unserer Gesellschaft“. Der NGG-Chef warb zudem lautstark für eine Anhebung des Rentenbeitrages auf 22 Prozent, um die Kassen langfristig zu entlasten und dafür, dem menschlich entwürdigenden Aufstocken von Mini-Jobbern Herr zu werden und die Rente mit 67 wieder abzuschaffen. „Hitze, Nässe, Kälte und Schichtbetrieb – das hält weder der Bäcker aus noch der Polizist.“
Ins gleiche Horn, klar, blies auch Josef Hülsdünker (DGB EL), der in punkto Leiharbeit sowie Mini-Jobs von einer zunehmenden, beängstigenden Entrechtung der Arbeitnehmerschaft sprach. Und der das von Merkel, Schäuble und Westerwelle geplante Steuerabkommen mit der Schweiz als „politische Korruption auf dem Niveau einer Bananenrepublik“ bezeichnete. Was ihm viele Lacher und viel Beifall einbrachte.
Nicht minder scharf, aber in der Wortwahl etwas weniger drastisch, verurteilte OB Frank Baranowski das Gebaren von hier ansässigen Unternehmen, „die einen gewaltigen Aufwand betreiben, um ihre Gewinne kleinzurechnen, um ja nicht zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben beizutragen. Diese Ignoranz ist unanständig.“ Ein klarer Seitenhieb auf Eon. Zur Erinnerung: Der Energieversorger erhob einen Anspruch auf Gewerbesteuerrückzahlungen in Höhe von 54 Millionen Euro plus Zinsen.
Abkehr vom Götzendienst
or dem Musiktheater hielten der evangelische Pfarrer Dieter Heisig und der katholische Pastor Hermann Zimmermann unter dem hölzernen „Kreuz der Arbeitslosigkeit“ einen kleinen Gottesdienst ab.
Beide richteten einen Appell an die Arbeitgeber, sich vom „Götzendienst“ abzuwenden. Denn nichts anderes sei das permanente Streben nach Wachstum und Profit um jeden Preis. Ihre Forderung: Wachstum ja, aber nur so viel, wie der Einzelne auch wirklich zum Leben braucht.
Erfreulich war, dass bei der Maikundgebung auch viele Jugendliche dabei waren. Sie verschafften sich Gehör auf der Neumarkt-Bühne mit ihrer Forderung nach mehr Studienplätzen. Aufmerksamkeit war ihnen auch bei ihrem Harlem-Shake sicher.
Prominente Gäste waren ebenso vertreten, etwa Schalkes Ehrenpräsident Gerd Rehberg. Dazu noch die Bundestags- und Landtagsabgeordneten Joachim Poß, Heike Gebhard und Markus Töns (alle SPD) sowie Ingrid Remmers (Die Linke).