Gelsenkirchen. . Dicke Kinder haben es oft schwer. Marvin und Lea wissen das aus Erfahrung.Doch nun geht es dem Übergewicht an die Pfunde
Das Ergebnis ist alarmierend: Jedes vierte Kind zwischen neun und 14 Jahren fühlt sich nach eigener Aussage zu dick, jedes dritte Kind hat bereits eine Diät hinter sich und jedes 20. Kind denkt daran, sich Fett absaugen zu lassen. Diese Studie gab die Bausparkasse LBS heraus, die seit 2007 regelmäßig und bundesweit Schulkinder befragte.
Dabei ist gesunde Ernährung gar nicht so schwer. Das zeigen zumindest die Teilnehmer am Ernährungs- und Sportprojekt der SAFARI-Kids der Kinder- und Jugendklinik im Bergmannsheil.
Einer dieser Teilnehmer ist der zwölfjährige Marvin aus Schermbeck. Für zwölf Wochen ging es jeden Mittwoch nach der Schule nach Gelsenkirchen. Dort startete zuerst eine Stunde Sport, danach eine Stunde Ernährungsberatung. Ein anstrenger Mittwoch, doch nicht für Marvin. „Das macht hier super viel Spaß. Ich lerne viel über mich und meine Gesundheit“, sagt er.
In vielen Fällen ist es Unwissenheit
Dabei hat er eigentlich bisher nicht viel falsch gemacht. Marvin geht in eine Ballsport-AG. Eines Tages wollte er abnehmen. Doch Mutter Silvia wusste nicht, wie sie ihrem Sohn helfen konnte. Durch die Kinderärztin wurde sie auf die SAFARI-Kids aufmerksam. „Ich habe immer gesehen, dass Marvin dicker wurde. Aber was macht man, wenn das Kind vor einem steht und sagt: „Mama, ich habe Hunger!“. Als Mutter sagt man da nicht nein“, berichtet Silvia Tamme. Bei SAFARI lernte Marvin, langsamer und bewusster zu essen. „Wir arbeiten hier nicht mit Verboten“, sagt Kursusleiterin Jeanette Knuth. Das helfe nicht, denn was verboten ist, möchte man ja am liebsten essen.
Auch Lea (9) macht bei den Kids mit. Weil sie dicker war, wurde sie in der Grundschule gemobbt. „Das ging soweit, dass Lea die Schule wechseln musste“, erzählt Mutter Silke Neumann. Das Selbstbewusstsein sank. Es folgten zahlreiche Kurse und sogar eine Kur. Nichts half dauerhaft, weil vieles ungeklärt blieb. Das Obst nur in Maßen gut ist, wusste die Familie nicht. „Wegen des Fruchtzuckeranteils“, erklärt Jeanette Knuth.
Im SAFARI-Programm (75 € Eigenleistung pro Sport- und Ernährungskursus) werden auch die Eltern geschult. Ein klarer Vorteil, wie die Mütter finden: „Wir unterstützen uns. Anders würde es gar nicht funktionieren.“ Marvin weiß inzwischen, was er wann essen darf. Seine Mutter hat ein wachsames Auge auf ihn. Und Lea fühlt sich zum ersten Mal gut aufgehoben. Zwei Kilo hat sie abgenommen. „Hört sich nicht viel an, aber wenn sie es schafft, das Gewicht zu halten, gleicht sich das mit dem Wachstum wieder aus“, weiß die Ernährungsberaterin Knuth.
In Zukunft müssen Eltern und Kinder zusammenhalten, um Erfolge zu erzielen. „Im Sommer werden wir alle zusammen schwimmen gehen“, sagt Lea. Sie freue sich darauf, denn dann könne sie endlich wieder Spaß haben, ohne sich für ihre Figur zu schämen.
Bewusster Essen und nicht nebenbei
„Kinder sollten bewusst Essen und es nicht nebenbei tun so wie etwa Radiohören“, sagt Kinderarzt und Ärztlicher Direktor im Bergmannsheil, Dr. Gerrit Lautner.
Eine effektive Therapiemöglichkeit bei übergewichtigen Kinder bestehe aus drei Säulen. Zum einen die Ernährungsumstellung. „Kinder sollten aufschreiben, was sie den ganzen Tag über essen“, sagt der Arzt, denn eine kleine Nascherei hier und da, macht den Kohl doch fett. Die zweite Säule sei Bewegung. „Zwei bis drei Stunden dauerhafter Sport in der Woche sind optimal“, rät Lautner. Als letzte Säule beschreibt er die Verhaltensänderung. „Das ist der schwerste Teil, denn ich muss einen Mix aus Bewegung und gesunder Ernährung in meinen Alltag einbauen. Das heißt: Treppe statt Aufzug, Obst statt Süßigkeiten.“ Ernährungsberaterin Jeanette Knuth rät weiterhin, fünf Mal am Tag Obst in kleinen, abwechslungsreichen Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
Die Alarmglocken sollten spätestens läuten, wenn das Kind heimlich und unregelmäßig isst. Gemeinsame Mahlzeiten in der Familie seien sehr wichtig, denn die Eltern sollten darauf achten, was das Kind isst. Von OPs rät der Kinderarzt im Allgemeinen ab. Mit Akupunktur als Therapiemaßnahme hat er noch keine Erfahrungen.
Folgeschäden des kindlichen Übergewichtes können orthopädische Probleme oder der klassische Diabetes sein. „Geht es um Aggressionen oder Selbstbewusstseinsstörungen, muss ein Psychologe herangezogen werden.“
Wie sagen Sie zum Thema „Übergewichtige Kinder“?
Das Enährungszentrum Berger See (Medical Center Bergmannsheil) bietet weitere Ernährungskurse für alle Altersgruppen an. Infos unter 0209/59 02 485.
Liebe Leser, wie sieht es mit Ihnen aus? Haben Sie auch übergewichtige Kinder zu Hause oder waren Sie selbst sogar eines? Oder finden Sie, dass Dicksein eine reine Einstellungssache ist, das Thema überbewertet wird?
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