Beim Haushaltssanierungsplan, den weichen Faktoren wie dem U-3-Ausbau oder der Flächenentwicklung sieht Frank Baranowski die Stadt auf gutem Kurs. Problematisch bleibt die Finanzsituation. Zum Jahreswechsel sprach Friedhelm Pothoff mit dem Oberbürgermeister.
Herr Oberbürgermeister, in der WAZ war zu lesen, dass die EU mit Geld aus dem Flächenregionalplan nachhaltige Quartiersentwicklung unterstützt. Ist Gelsenkirchen dabei?
Frank Baranowski: Es könnte klappen, dass wir dabei sind. Sechs Städte sollen es in NRW werden, sagte der Bauminister. Wir können uns das sehr gut vorstellen, gerade auch, weil es hier nicht nur um kleine Quartiere geht, sondern um übergreifende Ansiedlungen. Es stünde uns gut zu Gesicht.
Wo steht Gelsenkirchen denn grundsätzlich zum Jahreswechsel.
Das ist eine Betrachtung mit gemischten Gefühlen...
... warum?
Das ist so ein bisschen wie bei Sisyphos. Er kämpft sich den Berg hoch, um dann kurz vor dem Ziel wieder abzurutschen. Bei uns ist das so: Man schafft etwas und es stellt sich ein gutes Gefühl ein deshalb und dann gibt es einen Rückschlag.
Zum Beispiel?
Wir haben zwei Haushalte in diesem Jahr beraten und verabschiedet – inklusive Haushaltssanierungsplan. Ist das gerade alles fertig, kommt die Rückforderung eines großen Gewerbesteuerzahlers. Und man muss wieder neu rechnen.
Die CDU bringt mit Blick auf die Gewerbesteuer-Rückforderung von E.ON den Gedanken eines kommunalen Prüfdienstes ins Spiel, der die Verfahren begleiten soll. Was halten Sie davon?
Wir hatten das Thema zweimal im Rat, glaube ich (2006 und 2010, Anm. der Red.) und es gab jeweils keine Mehrheit dafür. Ich glaube nicht, dass das etwas bringen würde, wenn wir es überhaupt leisten können. Ich finde, dass es eine veränderte Steuergesetzgebung geben müsste, um so etwas zu verhindern.
Sie meinen im Ausland entstandene Verluste mit Gewinnen, die in Deutschland gemacht werden, zu verrechnen und Gewerbesteuern zurückfordern zu können?
Ja, genau.
Die Rückforderung bedeutet im Idealfall ein Loch in der Stadtkasse von gut 6 Millionen Euro, wenn der Rest über Schlüsselzuweisungen des Landes ausgeglichen würde. Mit welchen Einschnitten müssen die Gelsenkirchener Bürger rechnen?
Ich hoffe nicht, dass es zu Einschnitten kommen wird. Wir prüfen derzeit alles. Es ist ja auch abhängig davon, wie hoch die Gewerbesteuereinnahmen insgesamt sein werden. Ist der Topf des Landes nicht voll, gibt es für uns auch nicht 90 Prozent der 54 Millionen Euro.
Haben Sie eine andere Lösung?
Es gibt einen Ansatz, der in Hessen bereits praktiziert wird. Dort hat der Finanzminister den Städten erlaubt, die in Aussicht gestellte Beteiligung an der Eingliederungshilfe durch den Bund in die Haushaltssanierungspläne einzuarbeiten. In NRW begegnet man dem Thema noch mit spitzen Fingern.
Eine zweigeteilte Frage dazu: Was würde es edeuten, wenn der Bund diese Kosten übernimmt? Und rechnet Kämmerer Georg Lunemann schon kreativ mit solchen Beträgen?
Zu eins: Es würde uns schon gewaltig entlasten, wenn der Bund die Eingliederungshilfe übernähme. Es geht da um gut 60 Millionen Euro Umlage, die wir jährlich an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe zahlen. Zu zwei: Es ist richtig, dass der Kämmerer Zahlen in den Haushaltssanierungsplan eingearbeitet hat, aber bei weitem nicht in der Höhe, die möglich wäre.
Bleiben wir gleich beim Thema Gewerbe, was macht eigentlich Ikea?
Wir verhandeln mit dem Unternehmen und prüfen einige Inhalte auf ihre Umsetzungsmöglichkeit. Im Januar wird es im Planungsausschuss dazu einen Bericht geben.
Hat sich die grundsätzliche Aufregung denn gelegt?
Ja, aber die ist auch nicht von uns reingetragen worden. Das wurde in einer ersten Meldung falsch transportiert. Wir haben Ikea nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern das Mega-Store-Konzept mit über 50 000 Quadratmetern. Das widerspricht eindeutig der Landesgesetzgebung, wie jetzt die Stadt Wuppertal feststellen musste, die es umsetzen wollte und vom Land ausgebremst worden ist. Warum sollten wir Ikea auch nicht wollen, wenn die Bedingungen stimmen?
Wenn Sie eine Bilanz ziehen, was hat Gelsenkirchen 2012 geschafft?
Einiges. Wir haben den Haushaltssanierungsplan aufgestellt. Die Energieversorgung ist mit guter Beteiligung der Politik und der Öffentlichkeit neu aufgestellt worden. Die Vermarktungen der Brachflächen laufen gut, insbesondere Schalker Verein und Graf Bismarck. Bei den weichen Faktoren ist der U3-Ausbau gut gelaufen und wir haben die erste Sekundarschule eingerichtet.
Rückschläge und neue Perspektiven
Was gab es für Rückschläge?
Die Gewerbesteuer-Rückforderung und der Arbeitskampf bei TRW gehören sicherlich dazu.
TRW… Viele sehen Parallelen zum Kampf um Vaillant vor gut zehn Jahren, Sie auch?
Damals wie heute kämpfen die Menschen um den Erhalt von 150 Arbeitsplätzen. Gemeinsam mit der Belegschaft hoffen wir, dass der Protest bei den Entscheidungsträgern im Ausland Gehör findet. Bisher vermisse ich allerdings auf der Unternehmerseite die Bereitschaft und die Kreativität, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten.
.... was sie maßlos ärgert ...
... ja, sicher. Das Unternehmen schreibt schwarze Zahlen, will aber entlassen. Da gibt es einfach andere Wege um gegenzusteuern, etwa den der Kurzarbeit, deren Anwendung ja gerade auf zwölf Monate ausgeweitet worden ist.
Kurzarbeit hatten wir ja schon mal in den Anfängen der Finanzkrise.
Da haben auch viele Unternehmen dieses Mittel ergriffen, um die konjunkturelle Schwäche zu überstehen und dann wieder normal zu produzieren. Entlassungen sollten immer vermieden werden.
Wie werten Sie die Perspektiven bei der Standortwahl für Unternehmen?
Wir müssen einiges tun. Für uns selbst, aber auch gemeinsam mit unseren Nachbarstädten in der Emscher-Lippe-Region. Was passiert denn etwa, wenn sich in Bottrop und Marl der Bergbau zurückzieht? Oder in Bochum bei Opel tatsächlich nichts mehr ginge 2016 oder 2017? Auch da arbeiten Frauen und Männer, die in Gelsenkirchen leben. Die wirtschaftliche Entwicklung für die Stadt und die Region ist eines der ganz wichtigen Themen für 2013.
Welche Städte beziehen Sie da ein und was muss geschehen?
Grundsätzlich gibt es zwei Geschwindigkeiten. Südlich der A 42 ist alles etwas entspannter, nördlich dagegen nicht so sehr. Wir müssen Dienstleistungen ansiedeln und Industriearbeitsplätze absichern. Wir müssen beides schaffen. Forschungsunternehmen etwa, die sich im Umfeld von Universitäten ansiedeln, davon könnte es deutlich mehr geben.
Ist Politik denn überhaupt in der Lage hier kurzfristig Grundlagen zu schaffen?
Es ist schwierig und kann die Leute schon mal verrückt machen. Die Politik vor Ort arbeitet gegen die globaler werdenden Investitionen – und die Finanzsituation wird nicht besser. Umso wichtiger ist es, für stabile Städte zu sorgen, und dass dieser Punkt von der Politik erkannt wird. Das klingt jetzt ein bisschen nach Sonntagsrede. Aber wo sonst, wenn nicht in den Städten, sorgt Politik noch so direkt für Stabilität?
Die Top-3 für das neue Jahr
Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Baustein in der Arbeit mit Kindern. Wo steht Gelsenkirchen da?
Da können wir ganz selbstbewusst feststellen, dass wir sehr gut aufgestellt sind. Wir sind mit Blick auf die Präventionsketten Modellkommune. Wir investieren viel in Bildung und lassen Kinder nicht zurück. Das ist nichts, was sich sofort auszahlt, aber in der Zukunft wirkt. Da muss man schon mal eine Portion Geduld mitbringen. Das benötigt die Zeit einer ganzen Generation.
Gibt es sichtbare Auswirkungen?
Die Schuleingangsuntersuchungen fallen bei Kindern, die eine Kita besucht haben, deutlich positiver aus. Nur sieben Prozent dieser Kinder sind motorisch auffällig. Die Gruppe mit Kindern, die keine Kita besucht hat, weist dagegen bis zu 25 Prozent Auffälligkeiten auf. Das sind Fakten, die zeigen, dass unser präventiver Ansatz, der auf Bildung und Betreuung setzt, absolut wirksam ist.
Wenn man das jetzt zu Ende denkt, konterkariert ein Betreuungsgeld diese Ambitionen nicht?
Ja, das ist meine Sorge. Gerade weil es zu befürchten steht, dass die Kinder, die dringend eine Kita brauchen, nicht angemeldet werden, um so mehr Einnahmen für Familien zu sichern.
Eine letzte Frage: Was sind die dringlichsten Handlungsfelder 2013?
Das sind drei: Erstens die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der Ansiedung neuer Firmen in Gelsenkirchen. Zweitens: Bildung mit den Aspekten U3, Schulentwicklung und Präventionsketten. Und drittens: Stadtentwicklung mit Projekten für die weitere Entwicklung der Brachen, für das Stadtteilzentrum in Hassel, für den Heinrich-König-Platz in der City, für das Hans-Sachs-Haus. Und wir wollen den Umbau der Horster Straße in Buer abschließen.