Gelsenkirchen. . Aktueller Zustand der Häuser ist desolat. Viele Leerstände. Stadt plant den Bereich als Sanierungsgebiet. Eigene Aktivitäten sollen Eigentümer zu Investitionen anregen.

Die Bochumer Straße ist ein Dauerthema im Rathaus. Viele Häuser sind in einem desolaten Zustand, Anwohner klagen über Lärmbelästigung. Leerstände nehmen weiter zu. Das Gesamtbild im Bereich bis zur Virchowstraße ist desolat. Jetzt hat der Verwaltungsvorstand empfohlen, Untersuchungen für ein „Sanierungsverdachtsgebiet“ einzuleiten. Es könnte bei entsprechendem Ratsbeschluss ein Sanierungsprozess eingeleitet werden, um die städtebaulichen Missstände zu beseitigen und den Bereich aufzuwerten. Wir sprachen mit Stadtdirektor Michael von der Mühlen und dem Referatsleiter Stadtplanung Stefan Rommelfanger über die Entwicklung des Stadtquartiers.

Wer wird mit der Untersuchung beauftragt und wann wird sie abgeschlossen sein?

Michael von der Mühlen: Vor Beginn der Untersuchung schreiben wir öffentlich aus. Allerdings gibt es bereits eine Kooperation mit NRW-Urban. Die Gesellschaft hat eine Vorstudie

erarbeitet für die Stadterneuerungsgesellschaft und die Gebäude untersucht. Der Auftrag wird nach dem Vergaberecht erteilt. In der Untersuchung werden wir einen vollständigen Überblick über das Gebiet erhalten, sowohl räumlich als auch sozial. Mitte 2013 könnten die Untersuchungen abgeschlossen sein. Wir würden dann eine Satzung aufstellen, über die der Rat Ende 2013 entscheiden müsste.

Sollte der Rat den Beschluss zum Sanierungsgebiet fassen, kann die Stadt dann mit Zuschüssen rechnen?

Stefan Rommelfanger: Wir haben schon jetzt Mittel über das Städtebauförderungsprogramm für den Stadtumbau West erhalten. Sie fließen unter anderem in den Straßenumbau, in die Gestaltung von Freiflächen und Modernisierung. Damit konnten wir auch die Quartiersbetreuung in Flöz Dickebank finanzieren. Wir gehen davon aus, dass wir auch bei einem Beschluss zum Sanierungsgebiet Mittel vom Bund erhalten werden. Abgewickelt wird die Förderung über das Land, das auch entscheidet, ob zum Teil auch EU-Mittel aus dem Fonds für regionale Entwicklung nach Gelsenkirchen fließen.

Hat die Stadt in einem Sanierungsgebiet bessere Möglichkeiten, bei so genannten Schrottimmobilien in Eigentümerrechte einzugreifen?

Von der Mühlen: Wir wollen nicht gegen Eigentümer arbeiten. Die Entwicklung an der Bochumer Straße hat dazu geführt, dass sie nicht mehr investieren. Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, um sie zu Investitionen zu bewegen und ihnen die Gewissheit vermitteln, dass sich Investitionen lohnen. Wir denken auch über Alternativangebote nach. Wer nicht mehr in der Lage ist, Geld in die Hand zu nehmen, dem könnten wir zu einem fairen Preis das Haus abkaufen, den Eigentümer während der Modernisierung in einem Seniorenzentrum unterbringen und ihm anschließend ein Dauerwohnrecht in seinem ehemaligen Eigentum einräumen.

Es gibt 220 Objekte, wie wollen sie Eigentümer mitnehmen?

Rommelfanger: Indem wir Investitionen auch mit öffentlichen Mitteln unterstützen. Wir denken strategisch, haben das gesamte Gebiet im Auge. So wollen wir unter anderem einen Park anlegen und das Umfeld von Heilig Kreuz aufwerten. Das Gebiet nimmt eine Schlüsselfunktion ein.

Spekulationen verhindern 

Die Stadt hat aber nur begrenzte Möglichkeiten, als Käufer aufzutreten.

Von der Mühlen: Das ist sicher so. Wir können nur punktuell intervenieren, der Zugriff auf Schrottimmobilien beispielsweise ist relativ beschränkt. Mit Hilfe der Sanierungssatzung wollen wir Spekulationen mit Grundstücken verhindern und eine vernünftige neue Lagequalität schaffen. Gutwillige Eigentümer müssten erkennen, dass sie bei Investitionen von der Lageaufwertung verbunden mit einer städtebaulichen Verbesserung profitieren und Einkommensteuer durch erhebliche Abschreibungen sparen würden.

Es gibt sicher Eigentümer, die nur die schnelle Mark machen wollen?

Von der Mühlen: Das könnte sein. Geld haben wir nur wenig, es ist also ein stumpfes Schwert, mit dem wir drohen könnten. Es gibt natürlich ein Instandsetzungsgebot für Eigentümer. Ist er dazu nicht in der Lage, kann eine mögliche Übernahme nur zu normalen Preisen erfolgen.

Welche Rolle kann die Stadt spielen bei der Struktur zukünftiger Bewohner?

Rommelfanger: Wir wollen auch zur sozialen Stabilisierung beitragen und eine Gettoisierung verhindern. Es hat in den letzten Jahren viele Eigentümerwechsel

Stefan Rommelfanger.
Stefan Rommelfanger. © WAZ FotoPool

gegeben. Das Baugesetzbuch lässt uns Möglichkeiten, auch in Eigentümerrechte einzugreifen. So dürfen wir gegebenenfalls eingreifen bei der Belegung der Wohnungen.

Bedeutet das, die freie Wohnortwahl ist eingeschränkt?

Von der Mühlen: In der Tat. Wenn wir befürchten, dass das soziale Gleichgewicht nicht mehr stimmt, können wir den Einzug verhindern.

Geschwindigkeit reduzieren

Beteiligen sie Bürger, Eigentümer, Wohnungsgesellschaften mit an der zukünftigen Entwicklung?

Von der Mühlen: Wir denken an eine kontinuierliche Beteiligung, werden mit Eigentümern, Geldinstituten, Anwohnern, Mietern sprechen. Wir wollen ein Sanierungsbüro einrichten, in dem Mitarbeiter beraten und über die Pläne informieren.

Können nicht Fußgänger, Rad- und Autofahrer auf der Bochumer Straße erkennbar zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern in einem gemeinsamen Verkehrsraum werden?

Von der Mühlen: Wir denken über eine Querschnittsveränderung nach. Doch eine optisch einheitliche Verkehrsfläche für alle zu schaffen wird nicht möglich sein. Fußgänger brauchen einen sicheren Schutzraum. Wir müssen die Gehwege anfassen, auf der Südseite über Grundrissänderungen nachdenken wie auch über verbesserten Schallschutz auf der Nordseite. Mit den Themen Flüsterasphalt und Tempo 30 km/h werden wir uns ebenfalls befassen. Im Rahmen der Sanierung sollte die Geschwindigkeit reduziert werden. Dabei müsste auch die Bogestra mitspielen und auch die Straßenbahnen langsamer fahren lassen.

Wann wird der Wandel auf und neben der Bochumer Straße zu einem freundlichen südlichen Einfahrtstor in die Stadt spürbar sein?

Rommelfanger: Wenn die politischen Beschlüsse so erfolgen, wie wir es uns vorstellen, könnten die ersten Maßnahmen Anfang 2014 beginnen. Alle Beteiligten müssen sich allerdings auf einen langen Zeitraum einstellen. Die Sanierungsphase wird sicherlich zehn Jahre dauern.