Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Anonymen Alkoholiker (AA) müssen ihre Kontaktstelle an der Ringstraße aus Geldnöten kündigen. Wie und wo es weiter geht mit den Gruppentreffen, ist noch offen. Die Mitglieder entscheiden im September.

Ich muss nur heute ohne Alkohol überstehen. Nur heute, erstmal jedenfalls. Für Abhängige ist jeder einzelne Tag eine neue Herausforderung. Seit über 30 Jahren helfen Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (AA) in Gelsenkirchen denen, die ihre Sucht überwinden wollen, jeden neuen Tag zu meistern. Willi (72) ist einer von ihnen.

Seit 16 Jahren geht er mehrmals in der Woche in die Kontaktstelle an der Ringstraße, zu den Gruppentreffen. Sagt seinen Vornamen, gesteht, dass er Alkoholiker ist. Jedes Mal aufs Neue. Liest die zwölf Schritte der AA zur Trockenheit mit, die so leicht klingen und dabei so schwer umzusetzen sind. Willi hat seit 16 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, nach 32 Jahren Saufen.

„Ohne die AA könnte ich es nicht“

Sein Arzt hatte es ihm schon in jungen Jahren, als er 24 war, auf den Kopf zugesagt, dass er abhängig sei. Willi wollte das nicht glauben. Dass er Bierflaschen versteckte, um immer etwas Alkoholisches zur Verfügung zu haben: Na und? Was hat das mit Sucht zu tun?

Der Weg zur Erkenntnis ist bei den meisten Alkoholabhängigen lang, sehr lang. Und gespickt mit Niederlagen, Verlusten. Doch selbst, wenn Führerschein, Partnerin und Job weg sind wegen der verhängnisvollen Sucht, hat längst nicht jeder den Willen und die Kraft, aufzuhören. Wie groß die Willensleistung ist, über Jahrzehnte trocken zu bleiben, kann ein Nicht-Süchtiger wohl kaum ermessen. Und Willi ist sicher: Ohne die AA hätte er das nie geschafft.

Keine Spenden von außen erwünscht

Jetzt aber scheinen die Gruppentreffen in der gewohnten Umgebung gefährdet. Der bundesweite Trägerverband hat die Räume an der Ringstraße 29 zum Jahresende gekündigt. Auf Bitten der Gruppen vor Ort. Die laufenden Kosten, die allein aus Spenden von Mitgliedern bestritten werden, sind einfach zu hoch. Und die AA nehmen grundsätzlich keine Spenden von außen an, sondern nur von Mitgliedern. Und deren Zahl ist in den letzten Jahren nicht gerade gestiegen.

Nicht, weil es weniger Alkoholkranke gäbe. Sondern weil junge Leute sich keine Hilfe in Selbsthilfegruppen holen mögen. Das gilt nicht nur für Alkoholkranke, sondern für fast alle Bereiche, in denen Selbsthilfe greift. „Bei uns liegt der Altersschnitt bei 45 Jahren“ schätzt Willi. Und Kornelia Hirsch vom Selbsthilfe-Netzwerk KISS, die Kontakte und Infos zu Selbsthilfegruppen aller Art im Stadtgebiet koordiniert, kann das nur bestätigen: „Junge Leute suchen sich Hilfe lieber im Netz, in Chatrooms. Dass echte Treffen, Face-to-Face, hilfreicher sein können, mögen sich viele gar nicht vorstellen.“

Erst mal nur heute durchhalten 

Bundesweit und auch mit Gelsenkirchener Beteiligung läuft deshalb gerade eine Initiative, die junge Leute mit Problemen motivieren soll, sich in jungen Selbsthilfegruppen zu organisieren, um einander beistehen zu können.

Willi will indes vor allem eines: Sich auch künftig mit der Gruppe, in der Angehörige aller Schichten und Berufe vom Kranführer über den Polizisten bis zum Bankmitarbeiter vertreten sind, treffen können. Um sich gegenseitig unterstützen. Seine Frau hat er übrigens auch bei AA kennengelernt. Damals kam er rein, sah sie und verkündete im Brustton der Überzeugung: Dich heirate ich!

Mitgliederentscheid im September

Das mochte die damals gerade in Scheidung lebende Frau nun gar nicht hören. Doch Willi hat Recht behalten. Die beiden sind nun schon seit elf Jahren miteinander verheiratet. Auch sie, nennen wir sie Astrid, ist alkoholkrank. Seit 30 Jahren aber ist die heute 68-Jährige bereits trocken. Und auch das Rauchen hat sie sich abgewöhnt. Immer schön nach dem bewährten AA-Prinzip: Ich muss es ja erst mal nur heute schaffen, erst mal nur heute durchhalten.

Wie genau es mit der Kontaktstelle weitergeht, ob es kleinere Räume oder nur ein Telefon oder gemietete Räume für Gruppentreffen gibt, was man will und was man sich leisten kann: Das wollen die Mitglieder im September entscheiden.

Anlaufstellen für Kranke

In Gelsenkirchen gibt es sechs verschiedene Anlaufstellen in Form von Selbsthilfegruppen für Alkoholabhängige beziehungsweise für deren Angehörige, AL Anon.

Die Anonymen Alkoholiker und die Angehörigengruppen sind über das Internet – www.anonyme-alkoholiker.de –, email aa-gelsenkirchen@anonyme-alkoholiker.de sowie über Anrufbeantworter unter Telefon 192 95 zu erreichen. Wochentags sind abends meist auch Mitglieder direkt ansprechbar in den Räumen an der Ringstraße 29.

Neben dem Blauen Kreuz und dem Kreuzbund e.V., die Interessierten in der Regel einmal die Woche Gruppentreffen anbietet, gibt es die Gruppe „Good Feeling“ und eine für Angehörige von Korsakow-Patienten, das sind Abhängige im sehr fortgeschrittenen Stadium. sowie Telefon 0209-9822310 bei Kornelia Hirsch

Uhrzeiten und Treffpunkte der Gruppen sind täglich im Lokalteil der WAZ zu finden. Infos gibt es auch über die Selbsthilfe-Kontaktstelle KISS unter www.web-devel.net/web_kiss/ sowie Telefon 0209-9822310 bei Kornelia Hirsch.