Gelsenkirchen. Im Nordsternpark beleben die Betontürme des Deutschen Alpenvereins die Kletterszene. Akteure aus der Region treffen sich hier zum Gipfelsturm und Training. Die Sektion Gelsenkirchen hat knapp 1000 Mitglieder und besteht seit 1903.

Die Wand ist steil, der Gipfel nah. Anna Menges hängt 16, 17 Meter hoch im Seil am Turm – und schraubt und schraubt und schraubt. Die Füße in den Kletterschuhen angewinkelt, einen Eimer am Klettergurt eingehängt, befestigt die junge Frau farbige Griffpunkte, die Kletterer nach ihr nach oben bringen sollen. Bohren, dübel, schrauben. „Es dauert drei Tage, bis eine neue Route steht“ im Kunstgebirge, sagt Menges. Um die 200 sollen es bereits sein in der Kletteranlage im Nordsternpark, vom Schwierigkeitsgrad drei bis neun reicht das Repertoire. Beim Felsklettern im Gebirge gilt der 6. Grad schon als extrem schwierig. „Im Achterbereich haben wir etliche Routen“, sagt Detlef Hinzmann. Er ist Fachübungsleiter für Klettersport und zählt zum siebenköpfigen Ausbilderteam im Deutschen Alpenverein, Sektion Gelsenkirchen.

Bohren, dübeln, schrauben

Alpen, Klettersport und Gelsenkirchen? Das geht gut zusammen. Und lange schon. 1903 wurde die Sektion gegründet, fast 1000 Mitglieder hat sie, eint aktive Kletterer, Bergsteiger und Wanderer. Wobei die Kletterfelsen das Sektionsleben offenbar besonders beflügeln und auch Aktive aus der Umgebung zuführen. Drei Betontürme als feste Pluspunkte, dazu die in Eigenregie errichtete Nordsternhütte mit Schulungsraum und Bibliothek, mit dem geschnitzen Edelweiß am Holzgiebel. Nach Zirben und Bergschuhen riecht es in der Ausrüstungskammer, in der sauber aufgereiht Seile, Klemmkeile und Karabiner hängen. Mitten im Revier scheinen da die Berge und Hüttenzauber plötzlich nah. 2010 hat der Verein das Haus in Eigenregie gebaut. Es wurde zum festen Treff am Fels.

Alte Hasen und Anfänger

Rote, blaue, schwarze, gelbe Griffe für Sportkletterer sind im Beton verankert. Manche gerade so groß, dass zwei, drei Fingerkuppen Halt finden, andere bieten sich als sicherer Tritt für den Aufstieg an. Hier wird geübt: Von Gipfelstürmern und Feierabendkletterern, von Bouldern, von Anfängern und alten Hasen. Zur letzten und auch zur ersten Kategorie gehört Manfred. Drahtig, durchtrainiert, gebräunt zieht er sich mit Händen und Füßen von Griff zu Griff, immer an der Wand lang. Tänzerisch und scheinbar schwerelos wirkt das, elegant.

Bodennah am Fuß des Felsens ist an diesem Abend mehr Mühe angesagt. Die Anfänger proben den Einstieg ins Klettern spielerisch. Eine Gruppe hält sich in der Wand, reicht Hüte und Halstücher von Person zu Person weiter. Kraft und Koordination sind gefordert. Und mancher merkt, wo er plötzlich seinen Körperschwerpunkt hat: ganz tief im Süden. Ab und an steigt einer aus, zerfällt die Menschenkette. Doch der Absturz ist mild.

Greifen, treten, Seiltechniken – all das wird beim Schnupperklettern geprobt. Fall-Erlebnisse inklusive. Doch auch die seien wichtig, um die Scheu zu verlieren und Sicherheit zu bekommen, meint Hinzmann. An anderer Stelle am Turm üben Fortgeschrittene den Vorstieg. Klettergurt und Seil gehören immer dazu. Und Erfolgserlebnisse. Vor etwas über zwei Jahren erst ist Anna Menges zum Klettern gekommen. „Ich habe am mittleren Turm angefangen“, sagt sie. Bald darauf hat sie dann den Schwierigkeitsgrad 3 locker gemeistert, ist dort oben angekommen, wo sie gerade die neue Route in den Beton geschraubt hat. Mittlerweile ist sie im Ausbildungsteam, klettert dreimal die Woche im Nordsternpark und ist auch regelmäßig im Naturfels unterwegs – mal in der Eifel, mal auf Korsika. „Das ist gigantisch“, schwärmt sie.

Frauen klettern anders

Vom Gurt über Seil bis zu Helm und Schuhen ist eine Grundausstattung für rund 350 Euro zu kaufen. „Klettern ist Trendsport geworden. Aber das gilt normalerweise mehr für Kletterhallen als für Vereine“, weiß Hinzmann. „Viele Schulen springen darauf an. Vom Bewegungsapparat her ist das eben sehr anspruchsvoll.“ Auch die Sektion spürt das positiv. Durch Zulauf von Kindern und Jugendlichen. Für sie gibt es wöchentlich feste Übungsangebote.

Klettern, findet Barbara Mense, ist „gut fürs Sozialverhalten, fürs Körpergefühl, fürs Selbstbewusstsein.“ Sie selbst zählt zu den Kletterbetreuerinnen der Sektion und leitet mit Anna Menges seit September 2011das Klettern für Frauen. „Klettersport ist immer eine Partnergeschichte. Man muss zusammen arbeiten. Sonst funktioniert es nicht“, sagt sie. Aber da gibt es eben auch diesen kleinen Geschlechter-Unterschied: „Männer kompensieren viel durch Kraft. Frauen sind oft beweglicher. Sie klettern anders und oft besser, wenn ihre Partner nicht dabei sind.“