Verdi kritisiert die Arbeitsbedingungen in den Sozial- und Erziehungsdiensten und fordert einen Gesundheitstarifvertrag für die Branche. Darüber sprach WAZ-Redakteur Michael Muscheid mit Petra Müller (48), Erzieherin in der städtischen Kindertagesstätte an der Lothringer Straße.

Begrüßen Sie den Streik?

Müller: Ja, und ich mache auch mit! Weil ich seit 30 Jahren erlebe, wie sich die pädagogische Arbeit in der Kita ändert. Arbeitsbedingungen verschlechtern sich massiv, es gibt immer mehr Aufgaben – und das bei gleichem Personal. Wir kommen mit unserer Arbeit einfach nicht mehr hinterher.

Was hat sich denn verändert?

Heute lebt in Gelsenkirchen jedes dritte Kind in Armut oder ist davon bedroht; das war früher anders. Diese neue Situation erfordert von den Erzieherinnen viel mehr Förderung und Betreuung – nicht nur der Kinder, sondern auch der Eltern. Hinzu kommt das neue Kinderbildungsgesetz KiBiz: Öffnungszeiten wurden ausgeweitet, wir haben weniger Zeit für die Vor- und Nachbereitung, dafür aber zusätzliche Schichten.

Spüren Sie die Folgen?

Ja. Zunächst einmal ist man frustriert. Wir können und wollen eine gute Arbeit leisten, wir sehen ja, wie wichtig sie ist. Und: Ich liebe meinen Beruf. Aber wir schaffen die Arbeit nicht mehr; das belastet. Und dann nimmt man Arbeit mit nach Hause. Abends beim Fernsehen schreibe ich regelmäßig Zettel als Gedächtnisstütze, morgens wache ich oft um halb fünf auf und denke an die vor mir liegenden Aufgaben.

Wirkt sich das auch körperlich aus?

Ja, Erkrankungen im Kollegenkreis haben zugenommen. Und auch ich bin nicht mehr so flott wie mit 18 Jahren, als ich anfing. Nehmen wir meine Knie: Wenn man 30 Jahre lang täglich immer wieder von Kinderstühlen aufsteht, dann spürt man das. Klar ist: Bis 66 schaffe ich das nicht mehr.

Was muss nun geschehen?

Der Gesundheitstarifvertrag muss endlich her. Damit etwa der Arbeitsplatz einmal jährlich untersucht werden kann, um zu gucken, wo Gefährdungspotenzial steckt. Das muss dann abgestellt werden.

Stellt sich die Stadt stur?

Nein, die hat schon vieles gemacht, zuletzt im Rahmen der Gesundheitsvorsorge etwa Stühle für Erzieher, Lärmampeln oder Filzgleiter für Stühle und Tische angeschafft. Das alles reicht aber nicht aus.

Der von Verdi geforderte Gesundheitstarifvertrag kostet letztlich Geld. . .

Und davon ist genug da! Wer es sich leisten kann, Millionen Euro für ein Konjunkturpaket zu verbrennen, der hat auch Geld für die Kinder. In sie muss man investieren, denn sie sind unsere Zukunft.