Das Jahnbad und sein Schwimmmeister sind seit 44 Jahren verheiratet. Ohne Rutsche, ohne Wellen - dafür mit Familie

Freibad am Jahn-Stadtion in Gelsenkirchen - Heßler / Jahn-Bad / seit 44 Jahren arbeitet Schwimmmeister Paul Rosberger (68) im Jahnbad waz-Bild: Martin Möller am 06.08.2009
Freibad am Jahn-Stadtion in Gelsenkirchen - Heßler / Jahn-Bad / seit 44 Jahren arbeitet Schwimmmeister Paul Rosberger (68) im Jahnbad waz-Bild: Martin Möller am 06.08.2009 © WAZ

Paul sitzt auf seiner Kanzel. „Pass auf da hinten”, schreit er in Richtung Sprungblöcke, „döppen gibt's bei uns nicht”. „Bei uns” ist das Jahnbad in Heßler, in dem Paul Rosberger der Chef ist. Chef oder auch Prediger, wie er sich selbst gerne nennt. Offizielle Berufsbezeichnung: Schwimmmeister, seit 44 Jahren, 68 Jahre, verheiratet, ein Sohn, eine Enkelin, „die hat bei mir Schwimmen gelernt. . .” Aber das ist eine andere Geschichte.

Was jedenfalls die Liebesheirat zwischen dem Jahnbad und seinem Aufpasser vor immerhin fast einem halben Jahrhundert für das kleinste und älteste Freibad der Stadt heute immer noch bedeutet, formuliert der Meister ebenfalls gerne selber. „Ich sach' ma: In andere Bäder is imma Theata. Bei mir hörense - wie beim Prediger aufe Kanzel.”

Se, das sind die Badegäste, die in vielen Fällen seit Jahrzehnten kommen. „Bei uns gibt's Stammplätze”, erklärt Rosberger. Die Schräge links neben dem Becken für die Jugend. „Und die Familien mit Kindern liegen beim Planschbecken.” Schließlich die Alten auf den Bänken. „Da kann man gut gucken und lesen.”

Denn Ordnung muss sein, selbst auf der kleinsten Wiese, darum schiebt der Chef mit der Trillerpfeife auch schonmal Überstunden. „Bei uns klaut keiner, und bei uns gibt es auch kein Gerangel. In anderen Bädern stellt die Polizei Wachen hin. Bei uns sagen die Polizisten nur: ,Herr Rosberger, warum ist bei Ihnen eigentlich nie Ärger'?” Ärger gibt es wenig, weil Rosberger seine Augen eben überall hat, „da macht keiner Mist, das wissen die, sowas gibt es bei mir nicht!” Dass es in 44 Jahren tatsächlich keinen Badeunfall gab und sehr wenige Fälle von Diebstahl, kaum mal eine Auseinandersetzung, mag auch daran liegen, dass die Anlage in der beschaulichen Siedlung sagen wir mal: übersichtlich ist. Ein Becken, ein Planschbecken. Kein Sprungturm, keine Rutsche, keine Wellenmaschine, kein überflüssiger SchnickSchnack - dafür Bademeisters Hochsitz, der über allem prangt. Wo bleibt denn hier der Freizeitwert?

Im Zweifel im kristallklaren Wasser, das Paul und seine drei Mitarbeiter jedes Frühjahr aufs Neue von Algen und Laub befreien. . . Oder auf dem Betonsteg, von dem aus sich klasse Salti und Köpper in die Luft zaubern lassen . . . Vielleicht sind es auch die Spinde, für die man sich vorne an der Kasse erstmal einen Schlüssel abholen muss. Oder die bunten Wertmarken, die wie annodazumal aus einem alten Abreißautomaten gezogen werden, oder der Kiosk, klassisch mit Kratzeis und Caprisonne.

Vielleicht ist es aber auch e ganz etwas anderes, das die überaus ausgelassenen Besucher jedes Jahr aufs neue in diese ganz und gar nicht glattgebügelte und aufgemotzte Badeanstalt führt. „Wir sind wie eine Familie!” Der Schwimmmeister stemmt die Hände in die Hüften. Die meisten kennen sich hier (Tag, Inge!)”

Das, sagt Paul, sei, was immer mehr verloren gehe. „Wir haben seit drei Jahren Probleme, weil das Wetter schlecht ist.” Ein Feind. Es gibt andere. „Computer, Fernsehen.”

Jahre habe es gegeben, „da hatten wir so viel Defizit, da musste ich das ganze hier alleine stemmen.” Einer für alles. „Wahnsinn war das - aber wir haben es überlebt.” Sagt's und klettert zurück auf seine Kanzel. „Hey Sebastian, lass mal die Kleene los!” Macht Sebastian sofort. Is ja Paul sein Bad.

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