Gelsenkirchen. . In einer Serie beleuchten die WAZ und das Institut für Stadtgeschichte das Leben und Wirken von Gelsenkirchenern, die Stadtgeschichte geschrieben oder die Welt mitbewegt haben. Teil 1 befasst sich mit dem Künstler Franz Meyer.
Geschichte passiert nicht einfach, sie wird gemacht. (Auch) von Menschen, die in Gelsenkirchen geboren sind oder gelebt haben; die lokalhistorische Spuren hinterlassen, manchmal aber auch am Rad der Welt mitgedreht haben. Von Bekannten und Unbekannten, Guten und Bösen, Durchschnittlichen und Besonderen erzählt die WAZ-Serie „StadtGEschichte – ganz persönlich“ in Kooperation mit dem Institut für Stadtgeschichte (ISG). Im Mittelpunkt des 1. Teils steht der Künstler Franz Meyer (1906-1957). Mit frechem Pinselstrich leistete er Widerstand gegen das NS-Regime, auch wenn er dafür über den halben Globus flüchten musste.
Österreich, Niederlande, Belgien, Frankreich, Marokko, USA, dazu Begegnungen mit Intellektuellen wie Max Ernst, Walter Benjamin oder Lion Feuchtwanger: Als Meyer am 2. Mai 1906 in Gelsenkirchen geboren wurde, war diese Internationalität seines Lebensweges nicht absehbar. Ohnehin war sie zum großen Teil eher erzwungen denn frei gewählt. Aber der Reihe nach.
Zwei Entscheidungen sollten seinem Leben die entscheidende Richtung geben, erklärt ISG-Leiter Prof. Dr. Stefan Goch: die Lehre als technischer Zeichner in einem Ingenieurbüro und die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei (KPD). Die Ausbildung war es, die sein künstlerisches Interesse weckte und ihn ermutigte, an der Essener Folkwangschule ein Studium als Zeichner und Kunstmaler zu beginnen. Sein Metier war anfangs die Aquarellmalerei.
Als Meyer Ende der 1920-er Jahre der KP beitrat, setzte er sein Talent auch politisch um und zeichnete erste Karikaturen, etwa für die kommunistische Tageszeitung „Ruhr-Echo“. Dieser Kunstrichtung blieb er auch treu, als er sich Anfang der 1930-er Jahre mit anderen Gelsenkirchenern von der KPD trennte, weil diese sich dem Stalinismus verschrieben habe und eine verfehlte Strategie gegen den Nationalsozialismus verfolge.
Die Gruppe um Meyer nannte sich „Linksopposition“, politisch näherte sie sich den Positionen Trotzkis an, so Goch. Trotzki, vehementer Gegner Hitlers, wollte die sozialistische Revolution auf die ganze Welt ausdehnen und die Arbeiterbewegung einen, während Stalin dies ablehnte.
Mit der NS-Machtergreifung 1933 begann Meyers internationale Odyssee. Kaum hatte er mit Genossen die von seinem Vater verwaltete Gelsenkirchener Gewerkschaftsbibliothek vor dem Zugriff der Nazis gerettet, durchsuchten die neuen Machthaber sein Haus. „Meyer floh in die Niederlande und wurde nach Belgien ausgewiesen, zeichnete aber unter Decknamen weiter Karikaturen für Zeitungen der Arbeiterbewegung“, berichtet Goch. Und: „In der deutschen Gruppe von Trotzkisten wurde Meyer zu einer der führenden Persönlichkeiten.“
Als deutsche Soldaten die Niederlande und Belgien besetzten, floh er nach Frankreich, Hauptsitz trotzkistischer Emigranten. „Obwohl Deutschland Meyer 1940 ausgebürgert hatte, wurde er als ,feindlicher Ausländer’ interniert, ständig bedroht von der Gefahr, an die Deutschen ausgeliefert zu werden“, so Goch. Immerhin war der intellektuelle Austausch gegeben, kam Meyer in Aix-en-Provence doch mit Max Ernst, Walter Benjamin und Lion Feuchtwanger in Kontakt.
Mit Hilfe eines US-Komitees in Marseille erhielt Meyer ein US-Visum, flüchtete nach Marokko und New York. Dort trennte er sich mit anderen Trotzkisten in den 1940-ern von der Bewegung. Ironie der Geschichte: Er, der immer den sozialistischen Brückenschlag zu anderen Ländern propagierte, starb 1957 bei einem Autounfall – auf der George-Washington-Brücke.