Gelsenkirchen. Im Musiktheater im Revier wird schön gefroren und gestorben: La Bohème erfährt eine grundsolide Wiederbelebung und viel Beifall bei der Premiere - für einen grundsoliden Abend mit einem – ausgenommen einige Schärfen in den Höhen – prima disponierten Orchester.
La Bohème, das ist Opernstoff auf Nummer sicher. Giacomo Puccinis Musik ist eingängig, aber nicht totgespielt. Die Oper bietet große Gefühle zwischen Liebe, Leid und Lotterleben, sie liefert eine Geschichte, die mit Treiben und Personal zwischen Dichtermansarde und Café Momus im übersichtlichen, nachvollziehbaren Rahmen bleibt. Und die mit dem Poeten Rodolfo, Maler Marcello, Philosoph Colline, Musiker Schaunard und der streitbaren Geliebten Musetta gefühlsstrotzende Figuren zu bieten hat – und mit der Näherin Mimi eine Tragödin, die sich dem absehbaren Tod entgegenhüstelt und auf dem knapp dreistündigen Weg dahin den Grundstock für jede Menge schöne Arien liefert.
Als Wiederaufnahme hat Michael Schulz La Bohème neu belebt und dabei auf viel Altbewährtes gesetzt. 2007 hat er das populäre Puccini-Opus erstmals am Musiktheater im Revier inszeniert. Bühnenbild (Kathrin-Susann Brose) und Ästhetik hat er nun beinahe 1:1 mit neuen Stimmen reanimiert. Viel freundlicher Beifall im nicht ganz ausverkauften Musiktheater war ihm Samstag gewiss für einen grundsoliden Abend mit einem – ausgenommen einige Schärfen in den Höhen – prima disponierten Orchester. Traumhaft schön wie die Streicher in den zarten Momenten Mimis und Rodolfos Liebes- und Lebensleid begleiten.
Schade, dass Mimis (Petra Schmidt) Sopran im Zusammenspiel mit dem Orchester in manchen dieser Szenen wunderbar bis Reihe fünf trägt, aber zehn Reihen weiter sicher nur mit gespitzten Ohren zu vernehmen ist. Rasmus Baumann stand am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen. Am Ende bekommt er – zu recht – starken Applaus und einige Bravos zugerufen. Die NPW hatte ihre Sache bestens erledigt.
Die Kerze entflammt
Ein manchmal arg braves Spiel um lustig-launisch-leidendes Künstler-Prekariat hat Schulz entwickelt. Not macht diese Gesellschaft erfinderisch. Und sie verbindet. Das gilt für das Spiel rund um den oft so kalten Bollerofen, im wuseligen (vom gut einstudierten Chor belebten) Wirtshaus im Paris des 19. Jahrhunderts. Doch existenzieller Zusammenhalt reicht über die Zeit hinaus und so schlägt die Inszenierung Brücken in die geschäftige Gegenwart.
Rodolfo entflammt im ersten Bild buchstäblich Mimis Kerze – ein Sinnbild für die flammende Liebe in kalten Zeiten. In Bild 4 brennt eine funzelige Glühbirne. Das Künstlerquartett ist zur grauen, gichtig-greisen Altenkombo gealtert, die einst so fesche Musetta kommt als Schwarze Witwe daher. Alles hat sich geändert – und alles ist gleich geblieben. Und Mimi? Wirkt selbst sterbenskrank zeitlos .
Piotr Prochera (Marcello) und Michael Dahmen (Schaunard) wuchern mit Bariton-Pfund und wuchtigen Auftritten. Im Publikum, hört man am Beifall, haben beide viele Fans. Wie affektiert-zickig-launisch-sexy-prollig eine Musetta sein kann, führt Alfia Kamalova mit Verve vor. So recht können der Poet und die Näherin dagegen nicht zusammen kommen. Die Bühnen-Beziehung bleibt über längere Strecken hölzern, auch wenn Tenor Daniel Magdal und Petra Schmidt stimmlich keineswegs enttäuschen. Aber ihre besungene Liebe wirkt zwischenzeitlich so kalt wie Mimis Hände. Was möglich ist, zeigt die Tischszene: Mimi nähert sich dem Geliebten, zieht das ellenlange Tischtuch hinter sich her wie eine Braut-Schleppe. Oder auch ein Leichentuch. Die Szene löst sich stark im furiosen Quartett mit Musetta und Marcello auf. Das ist große Oper.
Weitere Vorstellungen: 18. Februar, 2. und 18. März. Karten und Information: Tel. 0209 4097 200