Gelsenkirchen. . Für die nötige Turmsanierung brauchte die Evangelische Gemeinde Rotthausen Geld. 2011 wurde so ein Jahr voller Spenden-Aktionen und Zusammenhalt.
Dach kaputt, das Haus ein Sanierungsfall, keine Kohle – zumindest nicht genug, um all die Schäden zu beheben, ohne eiserne Reserven anzugreifen. In so einer Situation braucht es Helfer und Gottvertrauen. Und Ideen. All das hatten sie in der evangelischen Kirchengemeinde Rotthausen: 2011 war das Jahr, das die Gemeinde ein Stück weit zusammengebracht hat, an dessen Ende eine befriedigende Bilanz steht. Nicht nur finanziell.
Über 70 000 Euro sind bislang bei Benefizaktionen zusammen gekommen, rechnet Finanzkirchmeister Reiner Kudies. Eine schöne Summe. Aber deutlich gewachsen scheint auch das Gemeinschaftsgefühl und der Einsatz für eine Sache. Und im neuen Glanz erstrahlt die Kirche an der Steeler Straße. Das Dach ist neu, der Turm komplett saniert. „Nach dem Jahr“, glaubt Pfarrer Rolf Neuhaus, „ist positiv, dass der Raum Kirche verstärkt anders in den Blick genommen worden ist.“
„Wir sind wieder im Zentrum angekommen“, findet seine Frau, die Pfarrerin Sonja Timpe-Neuhaus. „Das war schon eine Entdeckung. Die Vielfalt von Kirche als Ruheraum, als Klangraum, als Begegnungsraum.“
Das „Rockorchester Ruhrgebeat“ ist dreimal allein im letzten Jahr im Gotteshaus aufgetreten, Kirchenkabarett und Orgelnacht hat es gegeben, der Ruhrkohle Chor gab ein großes, gesponsertes Benefizkonzert, Weltmusik hat es – traditionell – ohnehin wieder in Rotthausen gegeben, dazu Jazz und Feste die vornehmlich einem Ziel dienten: Geld zu beschaffen für die anstehenden teuren Sanierungsarbeiten. Gut 490 000 Euro haben Dachschaden und Turmsanierung gekostet, anteilig, rechnet Kudies, war die Gemeinde mit 225 000 Euro dabei. Im Notfall wäre eine Immobilie verkauft worden. Klar war, dass man Sach- aber nicht die Personalrücklagen anknabbern würde. 80 000 Euro selbst einzuspielen, war das erste Ziel. Und Timpe-Neuhaus gesteht: „Ich habe gedacht, das schaffen wir kaum.“ Jetzt hängt die Latte bei 70 000 Euro, aber es geht ja weiter. „Wir wollen die Aktionen bis März laufen lassen mit weiteren Veranstaltungen. Aber dann ist es auch gut.“ Und die Kraft der Beteiligten erschöpft.
Spenden organisieren, Konzerte managen, neue Formen der Geldbeschaffung kreieren – das sind ja nicht unbedingt die Basisaufgaben für Pfarrer und Presbyterien. „Wenn Jesus sehen würde, was wir hier alles treiben, würde er vielleicht mit dem Kopf schütteln“, sagt Neuhaus. Andererseits: Aus der Gemeinde hat es keinen Widerspruch gegen die Aktionen gegeben. Und auch nicht gegen Rock im Kirchenraum. Da wird’s sicher auch dem Herrn gefallen haben.
„Der Auftritt des Ruhrkohlechors war für einige echt anrührend“
Ein Stück weit war das Jahr auch Rückbesinnung: auf alte Werte, auf örtliche Bezüge. Die Ausstellung „Über der Grube wächst die Stadt“ hat aus Sicht der Pfarrer noch mal deutlich gemacht, dass ihre Kirche als „Teil einer Geschichte des Bergbaus der Stadt“ wahrgenommen wird, dass „gerade Rotthausen sehr stark mit der Zeche Dahlbusch verbunden war.“ Gerade die Älteren sähen noch diese Bezüge. „Der Auftritt des Ruhrkohlechors war für einige echt anrührend. Das war eine der größten Veranstaltungen in diesem Jahr auch für Leute, die sonst weniger mit Kirche zu tun haben“, sagt Neuhaus.
Am Anfang, erinnert sich Pfarrerin Kirsten Sowa, „waren wir etwas naiv. Wir haben gedacht, wenn die Leute spenden wollen, dann tun sie es auch. Aber sie möchten gerne einen Gegenwert.“ Gebackene Kirchentaler waren da anfangs nicht so der rechte Anreiz. So wurden – Kerzen – als gegossene Bausteine mit Kirchenfenstermotiven entworfen und verkauft, dann Wein etikettiert, nun Sekt verkauft. Wer will, kann Silvester mit der „Rotthauser Himmelsperle“ anstoßen. Euro für Euro und vornehmlich mit Kleinspenden kamen schließlich die 70 000 Euro zusammen.
Neu formiert hat sich 2011 eine Fundraising-Gruppe, die eigentlich zeitlich begrenzt angelegt war, jetzt aber weiterhin Mittel für die Kirchenarbeit mobilisieren will. „Auch mit Weltmusik und Kultur machen wir ja weiter“, kündigt Neuhaus an. „Wir haben viel gelernt, auch durch verschiedenen Dinge, die nicht funktioniert haben“, sagt Sowa. Und alle sind sich einig: Wichtig sei das Bild, das es zu transportieren gilt. „Zu sehen, dass das Ideelle genauso Wert hat wie das Materielle, zu sehen: In die Kirche muss Leben rein, da werden Tore geöffnet.“
Dieses Gefühl „da geht eigentlich mehr“ hat sich dieses Jahr eingestellt. Gottesdienst und Gebet haben hier ihren natürlichen Raum, aber das Kirchenschiff sei eben auch ein Ort zu „hören, zu sehen, sich zu freuen“. Also Freude pur? Nicht ganz. Zwischendurch, gesteht Neuhaus, „haben wir alle schon Bauchschmerzen gehabt und uns Gedanken gemacht, ob wir das hinkriegen. Aber mittlerweile kann ich wieder gut schlafen.“