Gelsenkirchen.

Bis zuletzt hatte Simona K. Angst, dass dieses quälende Procedere weiter gehen könnte.

Als der Richter dann am 12. Dezember im Berufungsverfahren das Urteil verlas, da verlor sie die mühsam aufgebaute Fassung, die sie wie einen Panzer um ihre Seele aufgebaut hatte. „Es ist vorbei“, sagte sie sich immer und immer wieder, während der Richter das Strafmaß gegen ihren Ex-Mann begründete: zwei Jahre Haft auf Bewährung und 10 000 Euro Schmerzensgeld. Der Preis für eheliche Gewalt, für Vergewaltigungen, Demütigungen ...

Die bittere Erkenntnis des Opfers, das die häuslichen Dramen, die sich abgespielt hatten, in diesem Jahr so oft hatte schildern müssen: „Ich habe gar kein Schamgefühl mehr.“ Dieses Schamgefühl ist wohl auch der Grund dafür, dass die 41-Jährige so lange und vor allem so vieles ausgehalten hat. Und jetzt reden will. Das ist ihr persönlicher Befreiungsschlag. Sich nichts mehr verbieten zu lassen.

Schon die erste Ehe zerbrach an Gewalt

Schon die erste Ehe der in Nicolae Ceaucescus diktatorisch regiertem Rumänien geborenen Simona K. zerbrach an Gewalt. Streng orthodox erzogen, hat die heute in Gelsenkirchen lebende Frau früh erfahren: „Du musst das aushalten.“ Ihre eigene Mutter hatte – wohl aus eigener Erfahrung – der Tochter diesen Rat gegeben, als die Probleme in Simonas erster Ehe die zierliche Frau zu erdrücken drohten.

Dabei hatte alles ganz harmonisch begonnen. Damals, 1994 in Deutschland. Die gelernte Krankenschwester hatte hier einen Arbeitsvertrag im Krankenhaus bekommen und ihren späteren Ehemann aus Polen kennen- und lieben gelernt. Als das erste der beiden Kinder, ein Mädchen, sechs Monate alt war, hat Simona den (noch) geliebten Vater ihrer kleinen Tochter in Rumänien geheiratet. Im Mai 1999 wurde der gemeinsame Sohn in Polen geboren.

„Dann hat mein Mann angefangen, mit Kollegen raus zu gehen und zu trinken“, erzählt die 41-Jährige. Er habe sich verändert, angefangen, sie herum zu kommandieren. Die Beispiele klingen wie Klischees aus den Billig-Soaps der Privatsender. „Geh, hol mir ein Bier.“ Wenn sie nicht spurte, schlug er zu. Immer häufiger, immer fester. Drei Monate war der Kleine alt, als Simona ihre Mutter in Rumänien einweihte und um Rat bat. Deren Antwort: „Ihr seid verheiratet, ihr habt zwei Kinder. Das musst du aushalten. Bis zum Ende.“

Heute klingt es fast sachlich-nüchtern, wenn Simona K. zwei gescheiterte Ehen vergleicht: „Mein erster Mann hat mich nur geschlagen und ist fremd gegangen.“ Nur ...!

Als ihre Mutter damals tatsächlich einen Vermittlungsversuch unternahm, eskalierte die Situation – und Simonas Ehemann verdrosch die eigene Schwiegermutter. Den Schwur, „bis das der Tod euch scheide“, einzuhalten, hätte die junge Frau nicht ertragen. Sie war 30, als die Schmerzgrenze überschritten war. Demütigungen und Schläge forderten die notwendige Konsequenz: „Ich habe die Scheidung eingereicht.“ Als sie 2000 endlich wieder frei war, da hatte Simona K. einen kleinen Rosenkrieg hinter sich. Aber: Sie hatte einen Job in Frankfurt, hatte Hoffnung. Und vor allem: zwei Kinder, die sie brauchten.

Anfang 2005 begann die Krise in der zweiten Ehe

Ende 2002 lernte Simona dann auf einer Feier Thorsten (Name geändert) kennen. Ebenfalls geschieden, ein Kind – erst später entpuppte er sich als dreifacher Vater. Und wieder „war am Anfang alles harmonisch“, sagt die 41-Jährige heute. Aber sie hatte gelernt: Als die Zwei im November 2004 heirateten – „aus steuerlichen Gründen“ – , gab es einen Ehevertrag. „Jede Gabel und jeder Löffel wurden aufgelistet. Und wir haben vereinbart, dass im Falle der Trennung ich die Wohnung verlassen muss.“ Aber, was sind materielle Werte im Vergleich zu den Verletzungen, die folgten?

„Anfang 2005 ging es los“, beschreibt Simona K. den Anfang der Krise. Eines Nachts bat sie darum, die Musik leiser zu machen. „Da bekam ich meine erste Kopfnuss.“ Immer häufiger sah sie sich auch den verbalen Attacken von Thorstens Ex-Frau ausgesetzt, mit der ihr Mann stets einen engen Kontakt pflegte. Als „blöde Tussi“ wurde Simona beschimpft. Sie, die sich wie selbstverständlich auch immer um seine Kinder kümmerte. Als sie ihren Mann zur Rede stellte, „kassierte ich Schläge.“

2006 schaltete Simona K. zum ersten Mal einen Anwalt ein, „damit die Ex aufhört, mich zu belästigen“. Nach der Gerichtsverhandlung sei tatsächlich Ruhe eingekehrt. Nicht aber in der Patchwork-Familie. „Mein Mann fing an zu trinken.“ Simona K. musste sich eingestehen: „Ich hatte zum zweiten Mal voll in den Eimer gegriffen.“ Auf den leidvollen Höhepunkt steuerte die Beziehung dann mit dem Einzug einer seiner Töchter zu.

„Er sagt: Du bist eine Null. du schaffst das sowieso nicht!“

Sie wurde immer häufiger geschlagen. Immer häufiger fuhr auch die Polizei in der Siedlung vor, „und alle wussten, die wollen zu K.’s“, sagt Simona sarkastisch. Sichtbare Spuren der Prügel überspielte sie mit Ausreden. Eine Freundin Simonas erzählt: „Sie sagte zum Beispiel, das sei ihr bei der Mobilisation eines Patienten passiert.“ Und ergänzt: „Wenn Simona mal wieder verprügelt worden war, habe ich sie tagelang nicht gesehen. Nachbarn haben mich dann angesprochen, dass da wohl wieder etwas vorgefallen sein muss.“ Aber auch das war noch nicht das Schlimmste.

Im Winter 2010 ist der Ehemann zum ersten Mal im Bett gewaltsam über sie hergefallen. Und wieder schwieg Simona K. „Das hat sich im August 2010 wiederholt, als er bereits wusste, dass ich mich sowieso von ihm trennen will.“ Es geschah, als die zierliche Frau gerade von einer anstrengenden Nachtschicht aus dem Krankenhaus gekommen war. „Danach habe ich meine Sachen gepackt. Er hat mir gesagt: ,Du bist eine Null, du schaffst das sowieso nicht.“ Und ob ...

Die Tochter einer Nachbarin hat Simona K. ermuntert, zur Polizei zu gehen. Nach ihrer Aussage musste ihr Mann zunächst die Wohnung verlassen. Auf Antrag ihrer Anwältin bekam er weitere 15 Tage Rückkehrverbot. Simona bemühte sich in der Zeit um eine neue Wohnung für sich und ihre beiden Kinder.

Körperlicher und sexueller Gewalt war die 41-Jährige seither nicht mehr ausgesetzt, wohl aber Attacken via Internet. Auch dagegen schaltete sie einen Anwalt ein.

Warum sie vorher nie zur Polizei gegangen ist? Die Krankenschwester lässt sich mit der Antwort ein wenig Zeit. „Weil ich mich geschämt habe, meinen eigenen Mann anzuzeigen.“ Aber die Überwindung der Scham hatte für das Opfer auch etwas Gutes: „Seit dem Moment, wo ich zur Polizei gegangen bin, habe ich vor diesem Mann keine Angst mehr.“

Allerdings wuchs in ihr ein regelrechter Ekel vor Männern. „Heute geht es mir manchmal gut, aber eben nicht immer.“ Die 41-Jährige arbeitet nach wie vor als Krankenschwester und kann sich heute wieder entspannt um ihre inzwischen 15- und 13 Jahre alten Kinder kümmern. Weg aus Gelsenkirchen? Daran hat sie bisher keinen Gedanken verschwendet.

Simona K. ist in psychologischer Behandlung, um das Erlebte zu verarbeiten. Aber nach einem harten Jahr mit Scheidung und Gerichtsverfahren kann sie immerhin das offizielle Kapitel Ehe mit einem Gewalttäter zuschlagen. Das ist wirklich vorbei.


Als sich Simona K. an die WAZ wandte, um ihre Geschichte zu erzählen, da wusste sie noch nicht, wie das Berufungsverfahren gegen ihren geschiedenen Mann ausgehen würde. Er selbst hatte gegen das Urteil in erster Instanz Berufung eingelegt. Allerdings: Der Richter bestätigte das Urteil auch im zweiten Verfahren. Was die 41-Jährige, Opfer ehelicher Gewalt, zu dem Schritt bewegte, ihre Erlebnisse in aller Offenheit zu erzählen, fasst sie so zusammen: „Ich hoffe, dass meine Geschichte andere Frauen dazu ermutigt, ebenfalls an die Justiz und die Öffentlichkeit zu gehen.“ Sie selbst hat schließlich erfahren, wie schmerzlich es ist, wenn frau zu lange schweigt, zu lange aushält.