Gelsenkirchen.

„Wer in die Zukunft schaut, muss die Vergangenheit kennen“, meint Stadtbibliotheksleiter Friedhelm Overkämping. Und welcher Anlass könnte besser sein als ein 100. Geburtstag, um intensiv in der Geschichte zu stöbern? Auf einhundert Jahre Stadtbibliothek blickt Gelsenkirchen am heutigen 23. November zurück.

Mit einer schönen, ermutigenden Erkenntnis: Selbst zwei große Weltkriege konnten die Arbeit der Bibliothek nicht stoppen. Der Run auf das Buch, er blieb groß auch in den schlimmsten Krisenzeiten. Klaus Scheibe, seit 1976 Mitarbeiter in der Bibliothek, freut sich über die Beständigkeit seiner Bücherei: „Durch den Zweiten Weltkrieg wurden drei Viertel des Bestandes vernichtet, trotzdem ging die Arbeit weiter.“

Interesse bleibt beständig

So zählt die Stadtbücherei nicht nur zu den ältesten, sondern auch zu den inzwischen am häufigsten genutzten Kultureinrichtungen der Stadt. Die Domizile wechselten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, das Interesse der Menschen an ihrer Bücherei blieb beständig.

Auch heute wird gearbeitet, allerdings auch kräftig gefeiert. Mit den Besuchern, die besondere Überraschungen erwartet, und mit geladenen Gästen bei einem Empfang am Abend im Schloss Horst.

Etat von 4000 Mark

Und so fing alles an im Jahre 1911. Die „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung“ forderte vehement ein, was andere Städte wie Essen oder Bochum schon hatten: eine Volksbücherei. Am 23. November war das Ziel erreicht und in den Räumen an der heutigen Robert-Koch-Straße wurde in zwei Räumen der Wilhelmschule die städtische Bücherei eröffnet. Das Angebot bestand aus 2931 Büchern und der Etat betrug 4000 Mark. Der erste Büchereileiter, ein Lehrer, hieß Adolf Oberwinter.

Im Ersten Weltkrieg konnte die Bücherei fast ohne Einschränkungen weiter arbeiten. Schon 1920 war das Interesse am Buch zum Ausleihen so groß, dass Chronisten von täglichen Schlangen an der Buchtheke von 30 bis 40 Personen berichten.

Fusion von Buer und Gelsenkirchen

Im Jahre 1928 wurden nicht nur Buer und Gelsenkirchen zu einer neuen Einheit zusammengefasst, auch die Buersche Bücherei und die Volksbücherei in Gelsenkirchen fusionierten zur „Stadtbücherei Gelsenkirchen“. Dadurch wuchs der Buchbestand auf 29 000 Bände.

1933 gingen auch in Gelsenkirchen Bücher in Flammen auf. Bis 1936 schließlich hatten die Nazis ganze, schreckliche Arbeit geleistet. Die Chronik vermerkt: 1936, zum 25. Geburtstag der Stadtbücherei, war die „geistige Gleichschaltung“ mit dem NS-Regime fast vollständig abgeschlossen. In den Kriegswirren richteten Bomben sowohl in der Bücherei Buer als auch in Gelsenkirchen schwere Schäden an.

Nur 11.500 Bücher konnten gerettet werden

Von 55.000 Büchern konnten nur 11.500 gerettet werden. Die mussten den großen Lesehunger der Menschen stillen. Nach und nach entstanden neue Büchereizweigstellen in der Stadt, kam 1960 der erste Bücherbus ins Rollen. 1972 konnte die Bibliothek in ihr heutiges Domizil ins Bildungszentrum an der Ebertstraße einziehen.

Die größten Veränderungen in der Arbeit der Stadtbibliothek, bestätigt Friedhelm Overkämping, fanden in den letzten Jahren statt. Aus dem klassischen Lesesaal wurde 1999 „log-in“ , ein gut frequentierter Multimediabereich. Seit 2008 steht ein Schülercenter zur Verfügung. Die Bücherei rast längst mit auf der weltweiten Datenautobahn, präsentiert sich im Internet, leiht CD-Roms, CDs und DVDs aus, bietet jede Menge elektronische Bücher zum Schmökern an.

Zum Untergang geführt haben die neuen Medien die Bibliothek nicht, wie vielfach befürchtet. Täglich finden in Gelsenkirchen rund 1000 Ausleihen statt. Der Hunger auf Bildung ist ungebrochen groß.