Gelsenkirchen.

„Unbedacht Verstorbene“ sollen demnächst eine würdige Ruhestätte finden und ihre Einmaligkeit zurückerhalten. Ein Unternehmer stiftete für sie bereits die ersten Ruhesteine. Es sollen mehr werden.

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ zitiert Friedhofsgärtner Konrad Herz das Alte Testament. Aus gutem Grund. Der Fachmann in Sachen Friedhof weiß: Auch in dieser Stadt gibt es viele Menschen, die keiner mehr bei ihrem Namen ruft. Weil sie einsam sind, alleine, völlig ohne Freunde, ohne Verwandte. Wenn diese Menschen sterben, dann auch ganz alleine. Eine Arbeitsgemeinschaft will diesen Toten ihre Namen zurückgeben – mit Hilfe von „Ruhe-Steinen“.

So einsam, wie sie gelebt haben, wurden die Betroffenen bislang auch unter die Erde gebracht. Anonym, ohne Trauerfeier, irgendwo auf einem der städtischen Friedhöfe. Das hat seit Anfang des Jahres ein Ende. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen entwickelte zusammen mit der Stadt ein Konzept für eine würdige Form des Abschiednehmens.

Pfarrerin Dr. Zuzanna Hanussek gehörte zu den engagierten Initiatoren. „Ich habe mich gefragt, wie kann es sein, dass Menschen so einfach verschwinden?“ Inzwischen tun sie das nicht mehr. Auf dem Hauptfriedhof in Buer gibt es ein Gräberfeld für die sogenannten „unbedacht Verstorbenen“, wie es im Amtsjargon heißt. Also für Menschen, die tatsächlich kein Dach mehr über dem Kopf haben, die Obdachlosen, und für Menschen, die keine Angehörigen mehr haben.

Hier werden jeweils am ersten und dritten Dienstag eines Monats die „Unbedachten“ beerdigt. Geistliche begleiten die schlichten Einheitsurnen bis zum Grab, halten dort eine Rede, verlesen die Namen der Toten. Inzwischen liegen über 80 Verstorbene auf diesem Feld. Waldemar Kinzel vom Ordnungsamt rechnet mit rund 200 Beerdigungen pro Jahr, die die Stadt organisieren und finanzieren muss, weil sonst niemand für diese Aufgabe da ist.

„In Anlehnung an die sogenannten Stolpersteine, die an vielen Orten an Nazi-Opfer erinnern, sollen auch die Ruhe-Steine dafür sorgen, dass Menschen nicht einfach vergessen werden“, erläutert Pfarrerin Dr. Hanussek die Idee, jedes Grab mit einem Gedenkstein zu versehen. Hier steht nicht nur der Name des Toten, sondern auch sein Geburts- und sein Sterbedatum. „Erst dadurch erhält der Tote wieder ein Gesicht, eine Einmaligkeit“, sagt Konrad Herz.

Die ersten 50 Ruhesteine sind bereit

Der Unternehmer stiftete die ersten 50 Ruhe-Steine. Kleine graue Mahnmale aus belgischem Granit erzählen nun von den Gelsenkirchenern, deren Namen sonst in der Versenkung verschwunden wären. Sie erzählen auch davon, dass längst nicht nur ganz alte Menschen einsam versterben, dass nicht nur Männer betroffen sind, dass diese persönlichen Schicksale quer durch alle Bevölkerungsschichten gehen. Pfarrer Hermann Zimmermann weiß von Leuten, die zwar noch Angehörige haben, „zu denen aber seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr pflegen“. Die erfahren dann oft erst durch die Zeitungsanzeige, die jedes Vierteljahr die unbedacht Verstorbenen benennt, oder durch den gemeinsamen Gedenkgottesdienst, vom Tod des Familienmitglieds.

Andere Menschen kommen schlicht aus Geldmangel nicht würdig unter die Erde, auch denen blieb bislang nur die anonyme Stätte, für die das Ordnungsamt aufkam. Die Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen und Gemeinschaften sucht nun mit Hilfe eines Flyers nach weiteren Sponsoren, die „Ruhe-Steine“ stiften. Dafür werden Spenden gesammelt. Damit zum Beispiel auch die acht Menschen, die in dieser Woche auf dem Gräberfeld beerdigt wurden, in Zukunft einen Namen haben.