Gelsenkirchen. .
Das Schalker Fanprojekt hält die Schilderungen der Bundespolizei über die Randale von Vereins-Anhängern am Bremer Hauptbahnhof für überzogen: Deren Darstellung sei „harter Tobak“ und in Teilen falsch. Die Bundespolizei sieht das ganz anders.
Als die Tumulte am Gleis 9 des Bremer Hauptbahnhofs gegen 23 Uhr am Sonntagabend losgingen, saß Hendrik Jochheim vom Schalker Fanprojekt drei Waggons vom Ort des Geschehens entfernt noch in dem Zug, der die eigenen Fans vom gewonnenen Auswärtsspiel in Hamburg nach Hause bringen sollte. Es sollte eine lange Reise werden. Jochheim stürmt nach draußen und sieht, wie Schalke-Fans auf Polizisten losgehen. Er erinnert sich an die Fahrt von Hamburg nach Bremen: „Die Stimmung war bis dahin komplett friedlich.“ Jetzt fliegen Flaschen. Zwei Polizisten werden dabei verletzt. „Über den Auslöser kann ich nichts sagen“, erklärt Jochheim, „ich kann nichts bestätigen und nichts dementieren. Aber was ich dementieren kann, sind die Zahlen.“ Jochheim zählt „30 bis 60“ Anhänger, die sich an der Randale beteiligen. Auf immerhin 250 war die Polizei in ihrer ersten Zählung gekommen. „Das ist so einfach nicht wahr“, ärgert sich Jochheim. Er will zudem „selbstregulierende Prozesse“ gesehen haben. Anhänger hätten sich gegenseitig beruhigt, viele hätten die Szenerie einfach nur beobachtet. Durch die Darstellung der Polizei werde eine ganze Fan-Gruppe „kriminalisiert“.
Aufklärung zieht sich
Nach den Auseinandersetzungen zwischen Schalke-Anhängern und Bundespolizei wird sich die Aufklärung hinziehen, ahnt Polizei-Sprecher Holger Jureczko. Etliche Zeugen müssen befragt werden, vor allem aber werde die Auswertung der Video-Aufzeichnungen dauern.
Holger Jureczko, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Bremen, will seine Darstellung dagegen nur in einem einzigen Punkt korrigieren. 250 Fans der Kategorie B, in der Sprache der Polizei sind das Anhänger, bei denen Gewalttaten nicht ausgeschlossen sind, hätten sich in dem Zug befunden. Ein großer Teil von ihnen, sagt Jureczko, hätte sich an der Auseinandersetzung beteiligt, um die 150. „Schlagartig und koordiniert“ sei es zu den Aggressionen gekommen. Es flogen Gegenstände - „aus wenigen Metern“. Eine Flasche und eine Dose fliegen zwei seiner unbehelmten Kollegen an den Kopf. Mit Platzwunden werden sie versorgt. „Ausgesprochen feige“, nennt Jureczko die Angriffe. Eine eskalierende Lage: Nach der vorläufigen Festnahme eines Flaschenwerfers wollte die vermummte Gruppe „den geschlossen freipressen“. „Wo gibt es denn so was?“, fragt sich Jureczko.
Beim Fanprojekt stellt man sich in einer offiziellen Stellungnahme im Nachhinein auch die Frage, „in wieweit seitens der Polizei die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem Fanprojekt gewährleistet und gewünscht war“. Der Zugführer der Polizei soll den Kontakt mit Fan-Projekt-Mitarbeitern zwischendurch abgebrochen haben. In Situationen wie dort auf dem Gleis gebe es zwangsläufig Momente, „in denen keine Kommunikation mehr möglich ist“, verteidigt Jureczko die Arbeit seiner Kollegen.
Eine stille Nacht in der Stadt des Westfälischen Friedens
Die Angaben von Fanprojekt und Polizei widersprechen sich noch in einem weiteren Punkt: Jochheim betont, dass im Zug und auf dem Gleis „keine Hooligans anwesend“ waren. Jureczko hingegen betont, dass zwar der Begriff natürlich dehnbar sei, die Polizei aber ungeachtet dessen 45 Anhänger der Kategorie C, der besonders gewaltbereiten, am Zug gezählt habe. Auch alle vier vorläufig festgenommenen Schalker seien einschlägig polizeilich bekannt, wegen diverser Gewalttaten bei Sportveranstaltungen. Der Flaschenwerfer selbst gehöre „eindeutig zur Hooligan-Szene“.
Jureczko beharrt auch darauf, dass Vereins-Anhänger im Zug mehrfach die Notbremse gezogen und so die Abfahrt des Zuges verhindert hätten. Auch dies dementiert Jochheim vom Fanprojekt.
Einig sind sich Fan-Projekt und Polizei in einem Punkt: Um kurz vor 1 Uhr am frühen Sonntagmorgen verlässt der Zug mit den Schalkern den Bremer Hauptbahnhof gen Osnabrück. Dort beginnt für die Anhänger eine lange Nacht, weil der nächste Zug in Richtung Gelsenkirchen erst ab 7:19 Uhr fährt. Für die Fans, die sich nicht abholen lassen oder mit dem Taxi nach Hause fahren, sondern am Osnabrücker Hauptbahnhof ausharren, eine stille Nacht: In der Stadt des Westfälischen Friedens bleibt alles ruhig.