Gelsenkirchen. Eine erschreckende Tendenz haben SPD und Awo zum Thema gemacht: Das Risiko der Altersarmut. Durch die lebhafte Diskussion zog sich immer wieder die Forderung nach gesellschaftlicher Solidarität.
Inge Z. ist verzeweifelt. Von schwerer Krankheit gezeichnet, 100 Prozent schwerbehindert. „Metastasen sind wie eine Zeitbombe. Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe“, sagt sie leise. Ihr spärliches Leben finanziert sie mit Grundsicherung.
Die gesundheitlich schwer gehandicapte Frau bemüht sich zurzeit um die fortgesetzte Anerkennung der Pflegestufe 1. Der 60-Jährigen, die in Ückendorf wohnt, steht ihr jüngster Sohn zur Seite, der mehrmals täglich kommt, um seiner Mutter regelmäßig bei alltäglichen Dingen zu helfen, die sie nicht mehr stemmen kann. Ansonsten ist sie allein, wenn man einmal von ihren Katzen absieht, die Abwechsung in ihr tristes Leben bringen ... Bittere Altersarmut mitten in Gelsenkirchen. Und sicher kein Einzelfall.
Bundesweit, davon geht die Bundeszentrale für politische Bildung aus, sind rund 15,5 Prozent der Deutschen armutsgefährdet. Als von Armut besonders bedroht gelten dabei ältere Menschen und Arbeitslose. Eine erschreckende Tendenz, die nach Einschätzung von Gelsenkirchens SPD-Fraktion und dem Awo-Unterbezirk nach dringendem Handlungsbedarf ruft. Unter dem Motto „Altersarmut bekämpfen – heute die Weichen für morgen stellen“ haben sich Awo und SPD also das Thema am Mittwochabend auf die Diskussionsfahne geschrieben, um Strategien gegen drohende Verarmung anzustoßen. Über Ursachen und Handlungsmöglichkeiten informierte Dr. Elke Olbermann vom Institut für Gerontologie der TU Dortmund mit einem Impulsreferat.
Sozialausschuss-Vorsitzender Lutz Dworzak forderte im Verlauf der Diskussion, eigene Visionen zu entwickeln. „In Berlin heißt es, Altersarmut gibt es nicht, weil Grundsicherung gezahlt wird, wenn die Rente nicht reicht.“ Und weiter: „Ich möchte an alle appellieren: ,Hey Leute, da tickt eine Zeitbombe’.“ Altersarmut nicht nur statistisch zu erfassen, sondern sie sehen und begreifen, forderte Ulrich Christofczik von der Diakonie Rheinland-Westfalen ein. Der Leiter des Geschäftsbereichs Pflege-, Alten- und Behindertenarbeit pflegte eine deutliche Sprache, wenn er etwa sagte: „Der Arbeitsmarkt dereguliert immer mehr Erwerbsbiografien und sorgt für Renteneinbrüche.“ Und die gesellschaftliche Solidarität sei politisch gewollt ausgehöhlt worden. Aber: „Altersarmut abbauen erfordert Reformen.“ Im Jahr 2030 werde die Rente im Vergleich zu 2000 um 20 Prozent geringer ausfallen. Weiter meinte Christofczik: „Vielen ist inzwischen klar geworden, dass der politische Weg der letzten 15 Jahre falsch war.“ Auch die Umverteilung der Finanzierung privater Risiken – z. B. die Riester-Rente – führe zu einer Schieflage.
„Solidarität“ als Grundlage allen Handelns zog sich als roter Faden durch die Beiträge. Gewerkschaftliche Positionen wurden laut, als etwa Verdi-Geschäftsführerin Martina Peil die Wichtigkeit des Mindestlohns ansprach. Den Entscheidungsträgern in Berlin wurde viel Unangenehmes ins Stammbuch geschrieben: Altersarmut habe keine politische Lobby. Politiker, die die Armut bekämpfen bekämpfen können, würden selbst nie arm. Oder: „Wir lassen die Altersarmut zuwachsen.“ Ebenso kam die Rente mit 67 ins Gespräch, eine Erfindung, die selbst Sigmar Gabriel als „reines Kürzungsprogramm“ bezeichnet habe. Agieren statt resignieren wurde angeregt: „Wir in Gelsenkirchen haben sehr wohl die Möglichkeit, von hier aus etwas zu verändern. 1951 haben Menschen hier die Montanmitbestimmung auf den Weg gebracht!“