Die Zahlen sprechen für sich: Von 100 Kindern aus Arbeiterfamilien absolvieren 17 eine akademische Karriere. Sprösslinge mit Migrationshintergrund sind chronisch unterrepräsentiert.

Dem gegenüber fehlen laut Wissenschaft bis zum Jahr 2020 wegen des demografischen Wandels zwei Millionen Fachkräfte. Vertreter aus Politik, Bildung und Wirtschaft suchten gestern bei der TalentMetropole Ruhr an der Fachhochschule nach Ursachen und Lösungen des Problems.

Das Ruhrgebiet sei mit seinen Millionen Bewohnern verschiedener Ethnien voll von Talenten, sagte Svenja Schulze, NRW-Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung. „Wir müssen die Übergänge zwischen Schule und Hochschule so hinkriegen, dass wir diese Talente abfischen“, so die Politikerin. Gerade da drückt laut Christiane Bainski der Schuh. Viele Bildungs-Institute hätten noch nicht den Blick dafür, Talente zu erkennen und fördern. Mehrsprachigkeit sei ein Schatz, der gehoben werden müsse und die Lehrerausbildung gehöre so umgestellt, „dass die Lehrer auch mit den Schülern arbeiten, die sie vorfinden, nicht mit imaginären Schülern aus Bildungsschichten“ forderte die Leiterin der Hauptstelle für Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA). Das Bildungssystem müsse individueller, durchlässiger gestaltet werden, die Institutionen miteinander vernetzt werden. Mehr niederschwellige Angebote für Menschen aus bildungsfernen Schichten müssten her. „Die traditionelle Herangehensweise, junge Menschen anzusprechen, versagt“, sagte FH-Präsident Prof. Dr. Bernd Kriegesmann. „Wir reproduzieren universitäre Karrieren.“ Die bildungsfernen Schichten würden nicht erreicht. Ein Umdenken in Politik, Wirtschaft und auch an den Hochschulen müsse einsetzen.

Dass ein aktives Heranführen an eine Uni-Karriere Zeit und Ressourcen kostet, betonte Dr. Volker Meyer-Guckel vom Stiftungsverband der Deutschen Wissenschaft. In Kulturvereinen, Kooperationen mit Unternehmen und in den Familien müsse geworben werden. Die Politik müsse dafür bessere Rahmenbedingungen schaffen, bisher ginge es nur darum „möglichst schnell Studienabsolventen zu produzieren“, so Meyer-Guckel. Streng ökonomisch argumentierte in diesem Zusammenhang auch der FH-Präsident. Elf Milliarden Euro zusätzliche Investitionen in die Bildung seien notwendig, unterm Strich würde ein Ertrag von 25 Milliarden Euro dabei herauskommen. „In dieser Region stecken die größten Potenziale für Ansiedlung“, so Kriegesmann. Im Ruhrgebiet lohne sich eine Investition.

Neben flexibleren Studienmodellen speziell für Berufstätige wurde auch eine Kooperation von Schule und Wirtschaft thematisiert. Weder Schüler noch Lehrer kennen die Anforderungen und Perspektiven in der Industrie“, berichtete Ralf Blauth, Personalvorstand der Evonik Industries. In den USA sei es üblich, Unterrichtsmaterial an die Schulen auszugeben. Eine engere Vernetzung sei wichtig, das sei auch ohne plumpe Werbung möglich. Denn aus 360 Berufsbildern wählten Kinder aus Migrantenfamilien in der Regel nur acht Berufe aus.

Von einer „gesamtgesellschaftspolitischen Herausforderung“ sprach Erich Staake, Chef der Duisburger Hafen AG und Co-Moderator des Initiativkreises Ruhrgebiet. „Es muss jungen Menschen deutlich gemacht werden, dass sie hier Chancen haben.“ Das funktioniere nur im Netzwerk aller Beteiligten.

Als Tagungsergebnis garantierte die Fachhochschule Gelsenkirchen allen Unternehmen, die sich in den dualen Studiengängen engagieren möchten, entsprechende Studienplätze, so dass „kein Unternehmen den drohenden Fachkräftemangel fürchten muss“, sagte Prof. Dr. Bernd Kriegesmann.