Gelsenkirchen.

Eine Currywurst als Fest-Imbiss unter freiem Himmel, die Altstadt im Blick, eine Millionen-Baustelle unter den Füßen und jede Menge zu gucken – es gibt schlechtere Plätze. Und in dieser Stadt kaum symbolträchtigere.

Auf der fünften Etage im Neuen Hans-Sachs-Haus (HSH) wurde Freitag Richtfest gefeiert, sahen die sicher behelmten Gäste zu, wie Polier Martin Kramer von Riedel Bau nach dem Richtspruch mit geübtem Schwung ein (Wein!)-Glas zerdepperte. Wo sich die überschaubare Runde geladener Vertreter von Politik, Stadt und Wirtschaft traf, wird 2012 sozusagen auf höchster Verwaltungsebene der offene Innenhof sein. Manch einer schaute sich da schon im Rohbau seinen künftigen Dienstsitz an. Der Oberbürgermeister wird auf diesem Stockwerk sein Büro haben – in Westausrichtung, hinter dem einzigen Balkon am Hans-Sachs-Haus, der in dieser Etage die Front überspannt. Weit über dem einstigen Hinterhof zwischen Munckel- und Vattmannstraße, der nächstes Jahr herausgeputzt eine Renaissance als zentraler Vorplatz erleben soll. Etagen tiefer: der Ratssaal, das große Atrium. Die Glasüberdachung wird ab nächste Woche eingebaut. Ein Jahrzehnt Leerstand soll nächsten März mit dem Wiedereinzug der Verwaltung enden.

Die Übergabe des 53-Mio-Euro-Baus war eigentlich zum Herbst 2011 geplant. „Angesichts von zehn Jahren spielt diese Verspätung dann doch eine untergeordnete Rolle“, sagte Oberbürgermeister Frank Baranowski und rückte die Dimensionen weiter zurecht: „Was hier entsteht, ist nicht ein x-beliebiges Rathaus. Es soll schnell wieder die Mitte der Stadt sein, ein Ort der politischen Auseinandersetzung, es soll ein Veranstaltungszentrum und kultureller Magnet werden. Mit Bürgerforum, Atrium, Café und Bürgercenter.“

Ins Weltlexikon der Architektur hat es das HSH als Paradebeispiel Neuer Sachlichkeit und gehobener Baukultur des Backsteinexpressionismus geschafft. Doch viel mehr als die Fassade des einstigen Prunkstücks blieb nicht. Das Gebäude, gestand der OB i unter den munter flatternden grün-weißen Bändern des Richtkranzes, sei ihm lange „vorgekommen wie ein Greis, den man auf den Beinen halten musste“. Jetzt lernt er wieder laufen. Verjüngt, wie es die Natur nie schaffen würde.

Das Büro gmp Architekten hat dafür mit seinem Entwurf die Grundlage bereitet. Prof. Volkwin Marg, der verantwortliche Architekt, ist immer wieder auf der Baustelle gewesen, hat das Haus vor seinem geistigen Auge längst vollendet. Und dennoch überrascht ihn die Wirklichkeit immer wieder. Freitag strebte er im hellen Leinenanzug von Etage zu Etage, ließ Perspektiven auf sich wirken, schaute sich den Baukörper an. Der Turm der künftig auf den oberen Etagen Kunst beheimaten soll, hatte es ihm besonders angetan. „Diesen Blick hatte früher kein Mensch. Das wirkt wie eine moderne Skulptur.“ Die Auseinandersetzung mit dem HSH hat aus seiner Sicht auch viel mit dem Selbstverständnis seines Büros zu tun. „Am besten“, so Marg, „stehen uns Gebäude an, die im Grunde auf soziale Zwecke zielen.“