Gelsenkirchen. . Phillipp Stohldreier hat ein Menschenleben gerettet – mit seinem Knochenmark. Mit der WAZ sprach der 21-jährige Gelsenkirchener über Schmerzen, Gewissensentscheidungen und den besten Brief, den er je bekommen hat.

Wann haben Sie sich typisieren lassen? Gab es einen konkreten Anlass?

Phillipp Stohldreier: Mit 18. Das Datum weiß ich noch genau: Es war der 16. Februar 2008. Mein Vater hatte einen Aufruf von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) gesehen. Ich habe mir damals aber keine Gedanken gemacht, dass das tatsächlich passen könnte.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie für einen schwer kranken Menschen der geeignete Spender sind?

Stohldreier: Das war etwa ein Jahr später. Ich habe einen Brief bekommen. Mit der Information, dass ich überwiegend übereinstimmende Merkmale mit einem Patienten habe. Als ich das gelesen habe, musste ich mich erstmal setzen.

In welchen Lebensumständen hat die Nachricht Sie erreicht?

Stohldreier: Da war ich noch in der Schule. Die Knochenmarkspende ist damals schnell ziemlich in den Vordergrund gerückt. Das hat mich sehr beschäftigt und ganz besonders meine Mutter.

Wie meinen Sie das? War Ihre Mutter dagegen?

Stohldreier: Nein, meine Mutter fand es sehr gut, dass ich das gemacht habe. Trotzdem war das natürlich ihr „kleiner Junge“, der da operiert wird. Da hat wohl jede Mutter ein wenig Herzschmerz.

War für Sie sofort klar, dass Sie es machen werden?

Stohldreier: Ja. Ich hatte nie den Gedanken, es nicht zu machen. Das wäre falsch – nach meinem Empfinden.

Hatten Sie Angst?

Stohldreier: Ein bisschen Nervenflattern hatte ich schon, aber erst am Vorabend der OP. Es war meine erste Vollnarkose.

Wie ist die Spende dann abgelaufen?

Stohldreier: Erstmal bin zur Voruntersuchung nach Hameln in die Klinik gefahren. Danach sollte ich versuchen, besonders auf mich und meinen Körper zu achten (Anm. d. Red.: Das ist wichtig, weil beim Empfänger der Knochenmarkspende vor der Spende das Immunsystem so weit heruntergefahren wird, dass er danach ohne die Spende nicht mehr überleben könnte.) Die Operation war zwei Wochen später.

Hatten Sie Schmerzen?

Stohldreier: Ich weiß jetzt wie sich ein 80-Jähriger fühlen muss: Am Anfang konnte ich kaum laufen. Bei der Knochenmarkspende wird der Beckenkamm punktiert. An die 100 Mal. Wenn man aufwacht liegt man auf so Sandkissen. Dadurch geht es einigermaßen. Ich war zwei bis drei Tage krank geschrieben. Die Schmerzen haben sich nach etwa einer Woche wieder gelegt.

Sind Sie darauf vorbereitet worden?

Stohldreier: Ja, man hat mir vorher gesagt, dass ich Schmerzen haben könnte. Und mir wurde wieder und wieder gesagt, dass ich jederzeit zurücktreten kann. Das war mir fast etwas zu oft.

Haben Sie erfahren, ob Sie mit ihrer Spende helfen konnten?

Stohldreier: Ja. Einige Monate später habe ich Post bekommen: Das war der beste Brief, den ich je bekommen habe! Die Transplantation war erfolgreich.

Möchten Sie den Spendenempfänger kennenlernen?

Stohldreier: Ja. Ich würde ihn gerne einmal treffen. Er ist ja mein genetischer Zwilling. Aber er lebt irgendwo in Spanien. Und nach dem dortigen Gesetz darf man sich nicht treffen. Nur ein anonymer Briefwechsel ist erlaubt.

Hat er Ihnen geschrieben?

Stohldreier: Ja und es war ein tolles Gefühl, seinen Brief in den Händen zu halten. Sehr bewegend. Er hat geschrieben, dass er hofft mich eines Tages treffen zu können – falls das Gesetz geändert wird – und dass er jeden Tag daran denkt, dass er irgendjemandem in Deutschland sein Leben verdankt.

Würden Sie noch einmal Knochenmark spenden?

Stohldreier: Ja, jederzeit. Ich hoffe, ich bekomme noch einmal die Gelegenheit. Was wäre ich denn für ein Mensch, wenn ich nicht mal eine Woche Schmerzen ertragen würde, um jemandem das Weiterleben zu ermöglichen? Für mich war das eine Gewissensentscheidung. Ich stand ja mehr oder weniger vor der Entscheidung ein Menschenleben zu retten.