Gelsenkirchen. .

Schön, dass man auch einen erfahrenen Kirchenmusikdirektor noch verblüffen kann. Andreas Fröhling, mit dem ich mich in der Nicolaikirche in Ückendorf verabredet habe, lacht begeistert auf.

Wegen einer einfachen, bewusst plakativ formulierten Frage, die er sich so noch nie gestellt hat und deren Beantwortung alles andere als einfach ist.

Ich möchte vom Kreiskantor (Gelsenkirchen und Wattenscheid) wissen: „Welches sind Ihre fünf Lieblings-Weihnachtslieder?“

Nein, eine Rangliste der Top 5, neudeutsch Charts, hat er nicht. Aber, stilistisch betrachtet: „Wie diese Lieder gesungen und präsentiert werden, wie sie in tollen Chorsätzen gesetzt sind, da bin ich absoluter Fan der englischen Christmas Carols“. Diese Choräle, schwärmt er, sind nicht so gregorianisch, sind trotz mancher Nähe der Anglikanischen Kirche zum Protestantismus teilweise fast katholisch (opulent) geprägt, und „immer steht die Musik im Vordergrund.“ Viele Carols haben Melodien der Romantik aufgegriffen – was Andreas Fröhling als bekennenden Freund der Romantik, der schon jetzt dem Liszt-Jahr 2011 entgegenfiebert, naturgemäß besonders anspricht.

Aber man muss nicht unbedingt anglophil sein, um Christmas Carols zu lieben. „Durch das neue evangelische Gesangbuch ist eine Reihe von ihnen auch bei uns bekannt.“ Da stehen nämlich einige „typisch englische“ Melodien drin. Beispiele gefällig? Das berühmte „O Come All Ye Faithful“, das mit deutschem Text wahlweise „Nun freut euch ihr Christen“ oder „Herbei oh ihr Gläub’gen“ heißt. Aus „O Little Town of Bethlehem“ ist „Oh Bethlehem du kleine Stadt“ geworden, und hinter „Hört die Himmelsboten singen“ verbirgt sich das übrigens von Felix Mendelssohn komponierte „Hark! The Herald Angels Sing“.

Sein Elternhaus, erzählt Andreas Fröhling, war eher nicht religiös geprägt. Trotzdem hat er natürlich schon als Kind „O Tannenbaum“ und „Süßer die Glocken nie klingen“ gesungen. Oder „Es ist ein Ros’ entsprungen“ nach einer Melodie aus dem 16. Jahrhundert. „Ich mag diese Lieder. Sie stehen für eine Tradition, die sich über Jahrhunderte gehalten und als Volkstümlichkeit festgesetzt hat“. Als Volksgut, das unabhängig von Alter, Konfession, Bildung usw. Bestand hat – als würde die emotionale Bindung an diese Lieder von Generation zu Generation vererbt. „Und die Herkunft spielt dabei keine Rolle“, sagt der Kantor. „Zu Bethlehem geboren“ und „Engel auf den Feldern singen“ stammen zum Beispiel aus Frankreich. „Auf schöne und populäre Melodien wurden einfach neue Texte gesetzt, wie im Barock.“

Wer Barock sagt, kommt an Bach und dem Weihnachtsoratorium nicht vorbei. „Doch es gibt so viele andere herrliche Werke, schließlich lag die Hochzeit der Choralkomposition in der Zeit des Barock.“ Das ist wieder eine Antwort fernab jeder Hitliste. „Nein, Favoriten im Sinne von Charts habe ich nicht“, schmunzelt Andreas Fröhling und scheint selbst etwas überrascht über diese Einsicht. Und zeigt mir zum Schluss noch rasch am Beispiel von „O Come All Ye Faithful“, warum die Chorsätze der Carols einfach so unglaublich toll sind.