Gelsenkirchen.

Architektur und Pädagogik der Evangelischen Gesamtschule Bismarck erfahren international Aufmerksamkeit. Kaum eine Woche vergeht ohne Besuchergruppen, die sich das Gebäude und die Arbeit anschauen.

Ein Werbeträger für die Stadt mit überregionaler Strahlkraft? Schalke 04 wäre da die erste Adresse. Zumindest auf dem europäischen Kontinent. Deutschlandweit registriert wird vielleicht die Zoom-Erlebniswelt und der Wissenschaftspark. Der Horster Herkules hat künftig vielleicht noch das Zeug zum Star.

Weltweit bekannt hat Gelsenkirchen allerdings bereits ein gutes Stück Schularchitektur gemacht: Die Evangelische Gesamtschule Bismarck. Der Bau ist ein Vorzeigebeispiel erster Güte, zu finden in japanischen Bildbänden wie in südamerikanischen Ausstellungen, besucht von Gruppen aus aller Welt.

Schulleiter Harald Lehmann, Deutsch- und Religionslehrer, hat Besuch im Haus. Ein Gast aus Afrika. Über Möglichkeiten schulischer Zusammenarbeit mit Gambia wird er mit ihm sprechen wollen, über Zukunftsprojekte, über Reformpädagogik. Doch wie so oft wird es zunächst auch auf eine kleine Besichtigungsrunde gehen. Schule zeigen, das gehört dazu. „Eigentlich“, sagt der 61-jährige Lehrer, vergeht kaum eine Woche ohne eine Besuchergruppe.“ Mal sind es die pädagogischen Schwerpunkte, die interessieren, meist aber auch die architektonischen, die vom Stuttgarter Büro Hübner-Förster realisiert wurden. Beide sind ohnehin nur schwer voneinander zu trennen, seit 1997 der Grundstein für diese besondere Schule gelegt wurde.

In Wasser eingebettet liegt die Bibliothek wie auf einer Insel, ein gepflasterter Marktplatz öffnet sich hinter dem Hauptportal, Holz und Ziegel, warme Farben, lichte Räume und viel Grün prägen das Bild. Bis 2004 wurden Hauptgebäude und Klassenräume in Holzständerbauweise und Niedrigenergiestandard aus Öko-Baustoffen errichtet, Grasdächer und Regenwassernutzung inklusive. Die Fachräume heißen hier Werkstatt, die Verwaltung Rathaus, die Aula Theater. Im Wirtshaus, der Mensa, gibt es rustikale Holztische, Bistroatmosphäre bieten die Tischchen im Lichthof – eben Orte zum Wohlfühlen. „Wir haben bewusst die Schulbegriffe etwas weggedrängt“, sagt Lehmann. Und auch sonst früh einiges anders gemacht: Beispielsweise den 60-Minuten-Takt im Unterricht eingeführt, ein spezielles Förderkonzept entwickelt oder das stundenweise freie Lernen für 5. Jahrgänge eingeführt. Das Korsett staatlicher Schulen ist deutlich enger.

Das Diktat des rechten Winkels wird an zig Ecken ebenso aufgehoben. Die Schulstufen haben eigene Haustrakte. Zweigeschossig sind die einst mit den Schülern konzipierten Klassenhäuser– mit Lehrerzimmer und Sanitäranlage, mit eigenem Gärtchen und Aufenthaltsmöglichkeiten. „Die Klassen bleiben über mehrere Jahre dort. Das ist ihr Haus, ihr Garten“, sagt Lehmann. Die Identifikation ist hoch, der Vandalismus vergleichsweise niedrig, die Akzeptanz der Gesamtschule insgesamt beachtlich.

Als die Landeskirche im Rahmen der IBA einen „Hoffnungsträger für neue soziale Ansätze“ gestalten wollte, war klar: „Es sollte eine Gesamtschule sein. Und zwar an einem Ort, wo sie nicht jeder erwarten würde. Und sie sollte den Anspruch haben, eine besonders gute Schule zu sein“, sagt Lehmann. „Eine Schule in Bismarck muss auch kompensatorische Aufgaben erfüllen. Das geht nur, wenn sie Ganztagsschule ist, dafür muss sie aber Lebensraum sein.“ Etwas anders zu sein, gehört für Lehmann zur Basis des Erfolgs. „Wir sind Impulsgeber, wir sind modellhaft. Wären wir es nicht, bräuchte es uns nicht zu geben.“