Es gibt die unerwarteten Erfolge, die in einem schwierigen Berufsumfeld als Bestätigung dienen können, die Auftrieb geben für die Arbeit, die aber auch Verpflichtung für die Zukunft sind. Antonia Roth hat so eine Nachricht kürzlich erreicht. Ein „Lebenslänglicher“, den sie seit drei Jahren in der Haftanstalt Werl betreut, wurde „auf einmal ganz plötzlich mit fünf Jahren Bewährungszeit entlassen“ – nach 26 Jahren im Knast.
„Die Tatsache, dass wir ihm einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft vermittelt haben und die Zusicherung, den Mann auch weiterhin zu betreuen und therapeutisch zu begleiten, hat sehr viel dazu beigetragen, dass der Gutachter die Empfehlung zur Entlassung gegeben hat und die Strafvollstreckungskammer dieser Empfehlung gefolgt ist“, sagt Antonia Roth. Die Dipl. Pädagogin arbeitet für „Die Chance“. Der Name ist Programm. Die Psychosoziale Beratungsstelle für Straffällige der AWO hilft Inhaftierten und Haftentlassenen, sie unterstützt auch Angehörige. 410 Menschen nutzten 2009 dieses Angebot, davon 149 Männer und Frauen im Knast. Tendenz steigend.
Schulden, Sucht, Frust
Seit 29 Jahren arbeitet „Die Chance“, seit etwa zehn Jahren ist sie unter dem Dach der AWO Gelsenkirchen eine von acht Beratungsstellen im Land, die Straffälligen Anlaufstelle sein wollen – oder zwangsläufig ihre Klienten aufsuchen müssen. Deren Aktionsradius ist aus nachvollziehbaren Gründen äußerst eingeschränkt. Besuche an der Grenzstraße sind die Ausnahme, höchstens Altklienten oder Angehörige „kommen mal unangemeldet“ vorbei.
„Unsere Klienten können ja nicht immer raus. Außerdem haben wir einen hohen Anteil an Drogenabhängigen“, sagt Roth. „Wir nehmen Kontakt auf zu denen, die uns anschreiben“, sagt Sozialtherapeut Rudolf Kropivsek. Ansonsten werden die Betreuer in der Regel spätestens drei Monate vor der Entlassung eines Straffälligen zu einem Perspektiv-Gespräch hinzugezogen. „Unsere Erfahrung ist: je früher man einen Kontakt herstellt, desto eher fassen die Inhaftierten Vertrauen.“
Mit dem Sozialdienst der Justizvollzugsanstalten in Gelsenkirchen und Werl arbeiten die Chance-Kräfte zusammen. Gespräche vor der Entlassung, Begleitung vor dem ersten Ausgang nach längerer Haftzeit, Hilfe bei der Job- und Wohnungssuche, bei Behördengängen gehören zu den Aufgaben. Aber auch die Betreuung der Langstrafler. Das bedeutet vor allem: Kontakt nach draußen halten oder herstellen. Roth: „Diejenigen, die sich an uns wenden, haben oft keine andere Möglichkeit.“
Die Problemlage ist komplex: Sucht ist eines der wesentlichen Themen im Knast. Und eben auch vor und nach einer möglichen Entlassung. Außerdem, so Roth, hätten Gefangene oft „wenig soziale Kompetenzen. Sie sind da sehr entwöhnt“, auch wenn es darum geht, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Viele, vor allem unter den Frauen, haben keine Ausbildung, oft haben sie Schulden, vielen fehle die Konzentration. Auch für Schriftsätze. „Die geben nach einer halben Seite auf. Manche können anrufen, aber stellen sich sprachlich wenig geschickt an. Viele haben auch psychische Störungen. Und sie können ganz schlecht Frust aushalten“, stellt Sozialarbeiterin und Suchtberaterin Anke Lipka fest.
Das Delikt, das die Frauen und Männer in Haft brachte, ist für Antonia Roth „eher zweitrangig“ für die Arbeit. „Man braucht viel Geduld und Einfühlungsvermögen“, um den Menschen ein Stück weit zu verstehen. Zu sehen: „Was ist passiert, wie geht es dem überhaupt?“ Für den Sozialpädagogen Kropivsek, ist „das Schöne an der Arbeit, dass die Klienten so motiviert sind. Wenn sie rauskommen, wollen sie was ändern.“ Natürlich scheitern viele, werden Wiederholungstäter zur besonderen Herausforderung. „Aber das ist halt unsere Arbeit, sich dann in kleinen Schritten anzunähern und bei der Orientierung zu helfen.“ Eine Übergangswohnung kann die Chance für maximal vier Wochen nach der Knastzeit vermitteln. „Es gibt einige, die wollen ganz aus ihrem alten Umfeld raus, aber vielen ist wichtig, wieder nach Gelsenkirchen zurück zu kommen, weil sie hier Bezüge haben.“
„Die Chance“ stand in der Vergangenheit finanziell öfter auf der Kippe. „Wir kämpfen und haben bisher auch immer die Kurve gekriegt. Es ist ja auch ein wichtiger Bereich“, findet Roth. „Es wird immer klarer, wie wichtig ein gutes Übergangsmanagement ist, damit die Leute nicht ins Nichts entlassen werden.“