Gelsenkirchen.
Wie neu ist Neue Musik eigentlich? Kann man bei einem Konzert mit drei Werken, die 1953 bzw. 1960 entstanden, noch von einem komplett modernen Programm sprechen?
Wie auch immer: Die Neue Philharmonie Westfalen brach beim Zweiten Sinfoniekonzert eine Lanze für die Musik des 20. Jahrhunderts.
Im Mittelpunkt stand Hans Werner Henzes „Ode an den Westwind“ als Beitrag der NPW zum Henze-Projekt der Kulturhauptstadt. Formal eine Verbeugung vor der klassisch-romantischen Solokonzert-Form, schlägt der Komponist in diesem Werk Brücken zwischen einer gemäßigten, spätromantischen Klangsprache und Techniken der neuen, seriellen Musik der 1950er Jahre. Das Ergebnis ist eine sehr sinnliche, emotional packende Musik, die zwar „modern“ klingt, für heutige Hörer aber schon wieder sehr zugänglich ist. Cellist Jan-Filip Tupa, ein Experte für die Musik nach 1950, nahm sich unprätentiös zurück und verstand sich weniger als brillierender Solist, sondern vielmehr als integraler Teil des Klangapparats.
Zuvor erklang mit Isang Yuns „Bara“ ein Werk, das in ungewohnte, von fernöstlicher Philosophie beeinflusste Tonlandschaften entführte. Der deutsch-koreanische Komponist (1917-1995) arbeitet hier im Sinne der Klangfarbenkomposition Ligetis, stellt Flächen und klangliche Einzelereignisse nebeneinander und löst sich so komplett von klassischen Formverläufen. 50 Jahre nach seiner Uraufführung klingt das Werk heute immer noch spannend und aufregend, wobei es gut Pate für viele Arbeiten heutiger Avantgarde-Komponisten hätte stehen können.
Ein moderner Klassiker
Nach der Pause folgte ein moderner Klassiker, dessen zwischen Spätromantik und ureigener Expressivität sich bewegende Tonsprache längst im Konzertkanon Fuß gefasst hat. Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) konzipierte seine Sinfonie Nr. 10 e-Moll, sein erstes Werk nach Stalins Tod 1953, als Abrechnung mit dem Diktator, der den Komponisten politisch verfolgen ließ. Der „Kampf“ zwischen Stalin grotesk karikierenden Passagen und der Tonfolge D-Es-C-H, die für die Initialen Schostakowitschs steht, bildet eine der großartigsten, fesselndsten Sinfonien des 20. Jahrhunderts, bei der die Neue Philharmonie unter GMD Heiko Mathias Försters gewohnt kompetenter Leitung zu großer Form auflief. Der Jubel wollte kaum ein Ende nehmen.