Gelsenkirchen. .
Die Kinder überwanden als erste ihre Scheu und mögliche Schwellängste: Sie griffen neugierig in die Bücherkisten, um für sich kunterbunte und lustige Kinderbücher herauszufischen. Den Schulranzen noch auf dem Rücken fahndeten sie am Bücher- und Infostand des Bündnisses gegen Armut und soziale Ausgrenzung von Ruhr/init sowie der Stadt Gelsenkirchen und des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung nach Lesenswertem.
Am Weltalphabetisierungstag wiesen Vertreter der Stadt, der VHS und von Ruhr/init gezielt auf diese Problematik hin. Eine Problematik, die - so Erfahrungen vor Ort - seit Einführung von Hartz IV wieder überdeutlich wird. Konnten früher viele Menschen, die nicht lesen, schreiben und rechnen können, unerkannt abtauchen, so verlangt Hartz IV jetzt Leistung, die diese Menschen so nicht erbringen können. Der Umgang mit dem Computer, inzwischen aus dem Alltag kaum mehr weg zu denken, fordert eine Alphabetisierung.
Die Volkshochschule trug und trägt diesen Anforderungen Rechnung und bietet für verschiedene Altersgruppen entsprechende Kurse an. Startalter ist 25 Jahre.
Ziel der Aktion auf dem Preuteplatz war es auch, die Menschen an das Buch zu bringen. Eltern sollten den Kindern vorlesen, so wird Neugierde geweckt, so wird selbst gelesen, gelernt. So werden Buchstaben lebendig.Die Buchauswahl war vielseitig, vom Lexikon der Schimpfworte in sechs Sprachen, über Kleists zerbrochenem Krug, Karl Mays Ausflügen in seine Welt bis hin zu Prof. Dietrich Grönemeyers Lebensanschauungen boten die Bücherkisten auch durchaus Kost für Jedermann.
Das Augenmerk der Passanten fiel jedoch zuerst auf riesige Graffitiplakate, die von jugendlichen Analphabeten kreiert worden sind und von einem Künstler kommentiert wurden.
Der Bundesverband Alphabetisierung geht von rund vier Millionen Erwachsenen aus, die in Deutschland Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. In Gelsenkirchen wird deren Zahl auf 13 000 geschätzt.
Die VHS Gelsenkirchen bietet in zwei Programmen die Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen. Eine Gruppe mit sieben Kursen umfasst rund 100 Teilnehmer, die können deutsch sprechen aber nicht lesen und schreiben. Die zweite Gruppe, mit fünf Kursen - mit rund 80 Teilnehmern - muss zusätzlich noch deutsch lernen. Die Teilnehmer sind - so Bernhard Müller - zwischen 30 und 55 Jahre alt. Mehrheitlich seien es Frauen, die lesen und schreiben - als auch rechnen - lernen wollten.