Gelsenkichen.
Wer sich zu einem Spaziergang durch den Rheinelbepark aufmacht, die Dauerausstellung „Art in Nature“ in der Forststation besucht, der hat gute Chancen, Oliver Balke zu begegnen.
Der Förster vom Rheinelbewald scheint ständig auf Achse zu sein – als Betreuer von Kindergartengruppen, als sach- und fachkundiger Besucher-Führer, als Museumspädagoge. . . Einen Jagdhund braucht er ebenso wenig wie die typische „Jäger-Flinte“. Oliver Balke ist ein alles andere als ein „normaler“ Förster. „Ich bin eher ein Ranger-Förster, wie man ihn aus amerikanischen Nationalparks kennt“, meint er. Ein Begleiter, ein Behüter, der in die ihm anvertraute Natur nicht eingreift, der den Wald nicht durch forstwirtschaftliche Maßnahmen beeinflusst.
Aber dieser Wald ist ja auch kein normaler Forst. Der Naherholungsraum zwischen Wattenscheid und Ückendorf ist, der IBA sei’s gedankt, ein besonders glückliches Beispiel für einen sogenannten „Industriewald“, bei dem die Natur die Möglichkeit erhalten hat, ein ehemaliges Zechengelände aus eigener Kraft zurückzuerobern.
Überall, zwischen alten, noch zu Zechen-Glanzzeiten gepflanzten Eschen und Ahornbäumen und „jungen“ Sukzessionspflanzen wie den schnellwachsenden und verbreitungsfreudigen Birken, stößt der Besucher auf Zeugnisse der über 100-jährigen industriellen Nutzung: Mauerreste, Fundamente, Gebäudeteile, von der Natur schon ebenso besiegt wie die Halden von einst, aus denen längst überwucherte Hügel mit Ur-waldcharakter geworden sind.
Dass dieser Wald kein normaler Forst ist, das liegt entscheidend aber auch an Herman Prigann (1942-2008). Mitte der 90er Jahre begann der in Recklinghausen geborene Umwelt- und Landschaftskünstler mit seiner Gestaltung des Industriewaldes: Über das Areal verstreut, der neuen und alten Natur nicht aufgezwungen, sondern in diese hineinkomponiert, setzte Prigann seine spielerischen Objekte und Installationen: geschaffen aus Naturmaterialien wie Baumstämmen, Sand, Steinen, aus funktionlosen „Ab-fall“-Materialien des Industriezeitalters wie Betonblöcke, Stahlteile. . . Priganns bekannteste Skulptur ist die aus riesigen Steinblöcken geschichtete „Himmelstreppe“ auf dem höchsten Punkt der Halde. Doch viel faszinierender als diese offizielle „Landmarke“ des Reviers sind die kleinen, die leisen, oft geradezu archaisch anmutenden Zeichen, die Prigann im Wald gesetzt hat: eine verwunschener Treppen-Steig, ein „Nest“ aus dünnen Birkenstämmen, eine Art Hünengrab, bei dem die stützenden Baumstämme längst unter der Last des Dach-Steins den Dienst versagt haben. Denn an Priganns Skulpturen arbeitet die Natur als gestaltende Energie weiter; sie ist, sie bleibt der eigentliche Werkstoff des Künstlers.
Und: die Natur wird immer vielfältiger. Der Artenreichtum ist gewaltig, Jahr für Jahr siedeln sich neue Tiere und Pflanzen an. Irgendwie haben es die Goldruten von Nordamerika nach Rheinelbe ge-schafft, „vor zwei Jahren waren Zwergfledermäuse da“, erzählt Ranger-Förster Balke, „und im letzten Jahr habe ich im Flachwasser die ersten Wasserskorpione entdeckt.“ Jetzt kann der Besucher als Neuzugang den blaublühenden Natternkopf begrüßen.