Als „vermutlich größtes Projekt rund um Bildung, Schule und Wirtschaft“ in ganz NRW kündigte die IHK Nord Westfalen den Tag der Wirtschaft in Gelsenkirchen an. Die Zahlen sprechen für sich: Rund 170 Vertreter von 130 Firmen berichteten in 171 Klassen vor über 4200 Schülern. Die WAZ begleitete vier Bosse.

Der Groß-Bäcker

Piercings in der Produktion? Tabu! Gute Kenntnise in Mathe – zwingend erforderlich! Kopfnoten? Helfen Unternehmern bei der Bossen bei der Beurteilung und werden deshalb geschätzt. Bewerbungen — sollten möglichst zeitig und vielleicht auch persönlich abgegeben werden. Das hilft beim ersten Eindruck und zeigt Engagement. Und: die beiden letzten Zeugnisse sollten beiliegen. Fragen und Antworten aus einer munteren Schul-Runde. Hans-Joachim Scherpel („Ich bin der Chef von Malzer’s Backstube. Mit 1800 Mitarbeitern sind wir die größte Bäckerei im Ruhrgebiet“) stellt sich, sein Unternehmen und Bildungswege im Bäckereibetrieb in der Gerhart-Hauptmann-Realschule in Erle vor.

„Das ist auch mal eine Abwechslung für meinen Stundenplan“, gesteht der Unternehmer. Vom Rührwerk bis zur Verkaufstheke, vom Bäcker bis zur Fachkraft für Systemgastronomie führt seine Schulstundenreise durch den Betrieb, Aufstiegsperspektiven inklusive. Dass Scherpel für weitere Infos über Vergütungssätze und Ausbildung Personalleiterin Katja Urbanek mitbrachte, demonstiert auch die Karrierechancen: Urbanek stieg als Verkäuferin in die Managementebene auf.

In der Gerhart-Hauptmann-Realschule ging es bei Malzer’s-Chef Hans-Joachim Scherpel um Brötchen und Bäckerkarrieren. Foto: Thomas Schmidtke
In der Gerhart-Hauptmann-Realschule ging es bei Malzer’s-Chef Hans-Joachim Scherpel um Brötchen und Bäckerkarrieren. Foto: Thomas Schmidtke © WAZ FotoPool

„Das mit der Berufswahl ist ja schwierig. Die frohe Botschaft ist aber: Es ist nix vertan. Das Gelernte ist nicht umsonst und eröffnet Wege“, betont Scherpel auch in der anschließenden Podiumsdiskussion mit weiteren „Bossen“. Von Schulleiter Andreas Lisson gibt es verbale Streicheleinheiten für die Schüler: „Man muss wollen und auch wollen können. Ich denke, Ihr schafft das.“ „Das war interessant. Berufswahl ist für uns ein Thema“, finden Ayse, Sina und Franziska. In einem Jahr müssen sich die 15-Jährigen entscheiden. „Das ist nicht mehr weit.“ Das Trio hat Ambitionen wie viele der 9b. „Fast alle wollen das Abi machen.“

Der Bau-Experte

Für den 12er Informatikkurs am Grillo-Gymnasium steht ein heißes Thema auf dem Stundenplan. Das Ein-Mrd-Euro-Kraftwerk-Projekt des E.ON Energieversorgers in Datteln sorgt für Schlagzeilen. Der Bebauungsplan muss geändert werden. Der erste Mann für das weltweit größte Kraftpaket mit 1100 MW-Leistung, Projektleiter Dr. Andreas Willeke, übernahm die Lehrerrolle. Der 51-Jährige bleibt gelassen, sieht die Inbetriebnahme nur leicht um ein Jahr bis 2012 hinausgeschoben. Über Umwege führte der Weg des Gelsenkircheners, der 1977 am Grillo sein Abitur baute, an die Spitze der Projektleitung. Nach dem Maschinenbau-Studium brachte er es bei Preußen Elektra ausgerechnet zu einer Spitzenposition in der nuklearen Systemtechnik – als einstiger Anti-AKW-Demonstrant. Schließlich ging’s doch in Richtung Energietechnik. 180 Fachleute hat er in seinem Projektteam, 2000 Mitarbeiter sind täglich auf der Baustelle, bis zu 700 in der E.ON-Ingenieur-Denkfabrik in Buer. Die Schüler hören aufmerksam zu, nehmen den Ratschlag auf, Neigungen bei der Wahl des Berufsweges entscheiden zu lassen. Für den 51-Jährigen gehört auch der Spaß dazu. Eine möglichst geregelte Arbeitszeit gehört für ihn nicht gerade zu den Job-Kriterien. Der Manager gesteht, bei der Projektübernahme Muffensausen gehabt zu haben. Doch der neue Job habe ihn gereizt. Auch wenn die meisten Schüler ihren Berufsweg noch nicht kennen, wollen sie diesen außergewöhnlichen theoretischen Unterricht in der Praxis mit einer Besichtigung der Kraftwerks-Baustelle fortsetzen. Und sollten Gerichte den Bau doch noch stoppen, hat der Mann an der Spitze vorgesorgt. Prospekte über Neuseeland hat sich Andreas Willeke schon kommen lassen.

Der Systemgastronom

„Was glaubt ihr, was machen wir noch außer Burger und Döner?“ - „Pommes.“ Solch flapsige Dialoge lockern die Stimmung gleich auf. Erhan Baz, einer der Inhaber der Imbiss-Kette „Mr. Chicken“, besucht die Gesamtschule Ückendorf und kommt mit Schülern verschiedener Jahrgänge ins Gespräch: Wie sieht ein optimaler Bewerber aus, was erwartet der Arbeitgeber?

Erhan Baz , Inhaber der Firma Mr. Chicken , diskutierte mit Schülern der Gesamtschule Ückendorf insbesondere über Chancen von Migrantenkindern in Ausbildung und Studium. Foto: Martin Möller
Erhan Baz , Inhaber der Firma Mr. Chicken , diskutierte mit Schülern der Gesamtschule Ückendorf insbesondere über Chancen von Migrantenkindern in Ausbildung und Studium. Foto: Martin Möller © WAZ FotoPool

„Das A und O bei einer Bewerbung ist das Anschreiben“, erklärt Erhan Baz. „Ihr solltet so viel wie möglich über das Unternehmen herausfinden und den Verantwortlichen für Bewerbungen direkt anschreiben.“ Genau formulieren, weswegen man genau diesen Job wolle und genau richtig dafür ist, die eigene Persönlichkeit mit den Zielen des Unternehmens vereinbaren - darauf komme es an, so Baz. „Lebenslauf und Zeugnis zählen erst danach, und ob ihr ein Kopftuch tragt, Türken oder Deutsche sagt, ist völlig egal.“

Wichtig sei, die eigene Intention, den eigenen Willen nach vorne zu stellen, sich nicht der vermeintlichen Perspektivlosigkeit („wir gehen auf die Gesamtschule Ückendorf, wir haben doch eh keine Chance“) zu ergeben. Bestes Beispiel: Sinan Kum. Bei Mr. Chicken ist der ehemalige Gesamtschüler mit Abitur im Controlling tätig, nach seinem mit Promotion abgeschlossenen Studium (u.a. in London) ist er nun an der Universität im japanischen Nagasaki Jung-Professor. „Man muss Ziele haben, dann kann man entsprechend handeln.“

Auch Baz, in dessen Unternehmen u.a. in den Berufsfeldern Systemgastronomie, Büro, Groß- und Außenhandel sowie Lebensmitteltechnik ausgebildet wird, betont: „Jugendliche brauchen Perspektiven. Dazu müssen sie auch von den Lehrern motiviert werden.“

LPodiumsrunde in der Gerhart hauptmann Realschule: Über Berufe und Bewerbungen informierten in Erle (v.l) Rainer Grummel (Sonnen-Apotheke), katja Slawitsch (Koordinatorin für Berufs-und Studienorientierung), Jens Nagel (gkd-el), Hans-Joachim Scherpel (Detlef Malzer`s Backstube), Andreas Lisson (Schulleiter), Hildegard Brinkmann (Tischlerei Brinkmann), Silke Dzikus und Dorothea Rudde (Elternvertreterinnen). Foto: Thomas Schmidtke
LPodiumsrunde in der Gerhart hauptmann Realschule: Über Berufe und Bewerbungen informierten in Erle (v.l) Rainer Grummel (Sonnen-Apotheke), katja Slawitsch (Koordinatorin für Berufs-und Studienorientierung), Jens Nagel (gkd-el), Hans-Joachim Scherpel (Detlef Malzer`s Backstube), Andreas Lisson (Schulleiter), Hildegard Brinkmann (Tischlerei Brinkmann), Silke Dzikus und Dorothea Rudde (Elternvertreterinnen). Foto: Thomas Schmidtke © WAZ FotoPool

Der Wohnwelten-Architekt

Der Ruhr.2010-Programmdirektor und THS-Geschäftsführer könnte beleidigt sein. Weil ihm keiner der Schalker Gymnasiasten aus der Jahrgangsstufe 12 beantworten kann, wo er herkommt, was die THS ist und wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Ist er aber nicht. „Das ist heute die zweite kleine Lehre des Lebens: vorher informieren“, sagt der gelernte Architekt. Die erste Lehre ist: „Der erste Eindruck ist so tiefgreifend, den kriegt man selten geswitcht.“ Auf der Schultoilette hat er vorher nämlich „zwei Kilometer abgewickelte Klopapierfahnen“ auf dem Boden gesehen. Dafür können seine Zuhörer natürlich nur bedingt etwas.

Das deutet auf eine Katastrophe hin, oder? Nein, denn nach einer Nachhilfe-Lektion in Sachen THS lockt er die anfangs verhaltenen Jugendlichen dann doch aus der Reserve. In enthusiastischem Kumpelton fragt Karl-Heinz Petzinka per Du nach Berufswünschen und wie Bewerbungsmappen wohl auszusehen haben. „Tut das, was Ihr aus Überzeugung wollt! Lasst Euch nicht beirren“, spornt er an. Er legt den Schülern nahe, so weit wie möglich von zu Hause weg zu gehen, sonst würden sie sich nie lösen können. Außerdem: „Ihr wärt die erste Klasse, die nicht genervt ist von den Eltern.“ Solche Sprüche kommen natürlich gut an. „Geboren in Bochum, studiert in Bochum, erster Job in Bochum - da geht die Mappe zu!“ Er selber habe nie ein Abizeugnis seiner Mitarbeiter sehen wollen. Eine Diskussion über Architektur, über altmodische und moderne Häuser, bricht das Eis. „Welche Häuser mögen Leute lieber?“, will der „Lehrer“ wissen. „Das ist generationsabhängig“, antwortet ein Schüler. Wieder der Generationskonflikt. „Deshalb mag man die Eltern ja auch nicht“, schmunzelt Petzinka.