Gelsenkirchen. .

Die Bühne ist vollkommen schwarz. Alle Lichter im Zuschauerraum sind ausgeschaltet. Aus dem Dunkel dringen Worte und Klavierklänge, die das Publikum in die Welt der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko (1907- 1975) entführen.

Im Kleinen Haus des Musiktheaters widmete Ensemblemitglied Judith C. Jakob (Gloriana, My Fair Lady) der Künstlerin eine höchst eindringliche musikalische Lesung.

Eine Mischung aus
Gedichten und Prosa

In einer klug und wirkungsvoll kompilierten Mischung aus Gedichten, Prosa und Tagebucheinträgen begleiten die Zuhörer Mascha Kalékos Biografie und schriftstellerischen Werdegang, erleben die ersten Erfolge in Berlin ebenso wie das Verbot ihrer Texte durch die Nazis, folgen ihr in die Emigration nach New York und zurück nach Europa. Es ist die Geschichte einer Suchenden, einer Vertriebenen, einer Heimatlosen. Erlebtes spiegelt sich in Mascha Kalékos Werk, das eine beeindruckende Bandbreite von humorvoll-satirischer, den Alltag beleuchtender Großstadtlyrik bis hin zur tief verinnerlichten, melancholisch-zarten Poesie abdeckt.

Jakob verleiht allen Textfacetten eine lebendige Stimme. Es gelingt ihr, mit ihrem hervorragend artikulierten und intensiv interpretierten Vortrag der Texte über pausenlose gut eineinhalb Stunden das Publikum zu fesseln und Spannung aufzubauen.

Unterstützt wird sie dabei von Joachim M. Jezewski am Flügel. Er schafft eine Begleitung von filmmusikalischer Qualität. Das Klavier ist dabei der ideale Partner der Interpretin und drückt das aus, was beim Textvortrag zwischen den Zeilen bleibt, etwa im nächtlichen Großstadt-Blues. An einigen wohldosierten Stellen wir die Rezitation zu Gesang, verbinden sich Text und Musik zu Chansons von anrührender Schlichtheit.

Die Stärken des
großartigen Abends

Das Publikum könnte bemängeln, dass sich die Lesung zu sehr auf die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs konzentriert. Aus dieser Fokussierung bezieht der Abend aber auch Stärken: Spätere Tragödien im Leben Mascha Kalékos, etwa der Tod von Sohn und Mann, werden angedeutet, vorausgeahnt, aber sie passieren noch nicht.

Der großartige Abend schließt mit den vielsagenden Zeilen: „Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es.“