Gelsenkirchen. „Wenn die Schilddrüse spinnt“: Das war Thema des WAZ-Medizinforums mit dem St. Marien-Hhospital in Buer. 150 Interessierte erlebten einen ebenso informativen wie unterhaltsamen Abend.

Die Folgen der letzten Eiszeit bekommen wir in unserer Region bis heute zu spüren. Sie nämlich ist der Grund dafür, dass es hier so viele Schilddrüsenerkrankungen gibt. „Denn während der letzten Eiszeit wurde das Jod weitgehend aus den Böden ausgeschwemmt“, erklärte Dr. Frank P. Müller, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am St. Marien-Hospital, beim WAZ-Medizinforum am Mittwoch im Michaelshaus in Buer.

Denn insbesondere ein Jodmangel kann die Schilddrüse nachhaltig schädigen. Ein gesunder Mensch benötigt 120 Mikrogramm pro Tag. „Tatsächlich nehmen wir über die Nahrung nur 40 bis 60 µg zu uns“, erklärte Dr. Müller, dass hier Achtsamkeit geboten ist. Ratsam sei zudem der Verzehr von Jodsalz. „Auch der Verzehr von Seefisch und frischer Milch ist gut für die Schilddrüse.“

Oberarzt Dr. Peter Pohl
Oberarzt Dr. Peter Pohl © WAZ FotoPool

Was aber, wenn die Schilddrüse eben „spinnt“? Zu viel oder zu wenig Hormone produziert oder zu groß wird. „Jeder dritte erkrankt an der Schilddrüse“, so Müller. Und das durchaus in unterschiedlichen Kombinationen: Eine Überfunktion könne, ebenso wie eine Unterfunktion, mit Knoten einher gehen. Und davon gibt es auch noch kalte, warme und heiße. Das beschreibt, ob das Gewebe in diesen Knoten überhaupt aktiv ist, Hormone produziert oder gar unkontrolliert zuviel davon produziert. Daneben gibt es auch noch andere Erkrankungen wie Morbus Basedow, die an den hervorquellenden Augen zu erkennen ist wie beim Komiker Marty Feldmann.

Woran überhaupt man als Patient eine Erkrankung der Schilddrüse spürt, das erklärte Dr. Peter Pohl, Leitender Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am St. Marien-Hospital: „Beim Mann könnte man sagen, wenn die Krawatte nicht mehr passt.“ Tatsächlich spüren Patienten eine vergrößerte Schilddrüse vor allem, wenn sie sich beim Schlucken an den Hals fassen. „Wenn beim Schlucken dann ein Knubbel hoch kommt, dann ist das schon ein Struma.“

Die Anzeichen einer Schilddrüsenerkrankung sind vielfältig. Bei einer Unterfunktion verlangsamt sich der ganze Stoffwechsel. Es kommt zu einem langsameren Puls und einem Abfall des Blutdrucks, zu Verstopfung, zu Schlappheit und einer Gewichtszunahme, auch zu Haarausfall. Auf psychischer Ebene können sich Depressionen einstellen. Bei einer Überfunktion arbeiten Schilddrüse und Organismus auf Hochtouren. Ein schneller Herzschlag ist die Folge, Durchfall, Gewichtsabnahme trotz Heißhunger und, bei weiblichen Patienten, Zyklusstörungen und Fehlgeburten. Im psychischen Bereich kommt es zu starker innerer Unruhe und erheblicher Reizbarkeit. „Die Patienten, die eine Überfunktion haben, sind ständig in Zoff mit ihrem Partner“, scherzte Dr. Peter Pohl.

Und das war erlaubt. Denn so unangenehm eine Schilddrüsenerkrankung für den Patienten ist, lebensbedrohlich ist sie in den wenigsten Fällen. Krebs kommt selten vor und ist dann auch gut zu behandeln. Bei den meisten Patienten ist noch nicht einmal eine Operation nötig. Und vor der nahmen die Ärzte den Gästen auch die Angst. Nur ein kleiner Schnitt sei notwendig, Komplikationen äußert selten. Pohl: „In nur einem Prozent der Fälle werden bei der OP die Stimmbänder verletzt.“

Die fehlenden Hormone bei Funktionsstörungen können über Medikamente ersetzt werden. „Wir sind heute in der Lage, die Schilddrüse komplett zu ersetzen“, so der Chefarzt. Allerdings, um die Hormone zu ersetzen, muss man vorher wissen, dass sie fehlen. Die ganz klare Empfehlung beider Ärzte am Mittwoch war, bei Beschwerden immer auch die Schilddrüse untersuchen zu lassen. Und das zunächst beim Hausarzt. Denn Fachärzte, Endokrinologen, gibt es nicht viele. In Gelsenkirchen gibt es gar keinen. Umso größer war das Interesse der Gäste, als nach dem Vortrag ein Ultraschall der Schilddrüse angeboten wurde. Lange Schlangen bildeten sich hier.

Beim Medizinforum wurde deutlich, so klein die Schilddrüse ist, so viel Ärger kann sie machen. „Dieses kleine Organ ist ein Schmetterling in ihrem Hals“, so Müller. „Und wenn der zu schnell oder zu langsam flattert, dann kann im Körper alles durcheinander gehen.“