Gelsenkirchen.
Ganze Bücher könnte Helmut Lindner mit seinen Geschichten wohl füllen. Zu jedem Gegenstand in der Propsteikirche St. Urbanus fällt dem Stadt- und Kirchenführer etwas ein.
Das sind historisch belegte Fakten, aber auch Legenden und mündliche Überlieferungen. 19 WAZ-Leser führt er knapp zwei Stunden lang durch die katholische Hauptkirche von Buer.
Bevor Helmut Lindner die Besucher in das Innere des Gotteshauses geleitet, zeigt er ihnen an der Außenmauer die 2008 von der KAB angebrachte Gedenktafel für den Märtyrer Nikolaus Groß, der während des Nationalsozialismus wegen seines Glaubens ermordet worden ist. Anschließend geht es „unter“ die Orgel. Rechts und links des Haupteingangs befinden sich zwei kleine Kapellen. In der einen liegt eine Statue vom in Buer geborenen Bruder Jordan Mai längs auf dem Boden, in Richtung der Mutter Gottes betend. „In dieser Position hat er für seine Mitmenschen gebetet. Stundenlang“, sagt Helmut Lindner und erzählt die Kurzfassung der Bruder-Jordan-Biografie, bevor er sich der Kapelle gegenüber zuwendet, die den Toten und dem Totengedenken gewidmet ist.
Auch geht der Kirchenführer auf vier Heiligen-Statuen ein, die die Urbanus-Besucher passieren, als sie unter der Orgel hindurch ins Innere des imposanten Gebäudes gehen. Zu Aloisius, Agnes, Franz Xaver und Antonius erfahren die Leser ebenfalls Wissenswertes. Eine Inschrift im Bereich der Statuen verrät etwas über wichtige Daten aus der Geschichte der Propsteikirche. Die „1223“ etwa gibt Aufschluss über das Entstehungsjahr der ersten Steinkirche. 1893 wurde St. Urbanus erbaut, 1973 renoviert. Und 1160, so verrät Helmut Lindner außerdem, wurde die Kirchengemeinde St. Urbanus gegründet.
Es geht vorbei an Fragmenten eines alten Klappaltars, am ehemaligen Beichtstuhl, der einst mutwillig in Brand gesteckt wurde und zwei von 14 Kreuzweg-Gemälden mit sich nahm, an weiteren Heiligen-Statuen, an Elfenbeinschnitzereien und am Urbanus-Altar, in dem Reliquien des Heiligen Urbanus liegen. Der Bereich um das Taufbecken ist wegen Bergschäden gesperrt. Vor dem Hauptaltar geht Helmut Lindner auf die haushohen Kirchenfenster ein, erläutert den Lesern die einzelnen Bildelemente, zeigt ihnen das Erlösungswerk, den Leidensweg Jesu, die Hochzeit von Kanaan und die Vision des Petrus, dargestellt auf blauem, grünem, gelbem und rotem Glas.
„Haben Sie Lust, zur Orgel zu gehen?“, fragt der Kirchenmusiker Carsten Böckmann. „Es sind 51 Stufen...“ Über eine beklemmend schmale Wendeltreppe gelangt die Gruppe auf die Orgelbühne. Bevor Carsten Böckmann das Martinslied in mehreren Variationen spielt, erklärt er den Lesern Grundlegendes. „Die Register bei einer Orgel sind wie die PS bei einem Auto“, sagt er etwa. Oder das die kleinste Pfeife gerade mal so groß wie ein Fingernagel ist.
Von der Orgelbühne aus zeigt Helmut Lindner in die Urbanuskirche, verrät Fakten zur Architektur und zum Silberkorpus am Kreuz über dem Hauptaltar. „Ach, es gibt so viele Geschichten“, sagt er.
„Ist die Glocke aus dem ehemaligen Turm?“, zeigt der Leser Kurt Klein in Richtung Hauptaltar. Der Stadt- und Kirchenführer verneint, alle Glocken seien damals abgeholt worden. Der Turm wurde im 2. Weltkrieg von den Alliierten zerstört, die herabstürzenden Trümmer rissen Orgel und Gewölbe mit sich. Heute ist der Turm 48 Meter hoch. Die Spitze war genau so lang, dazu kam ein vier Meter hohes Kreuz und ein ein Meter hoher Hahn.
In der Sakristei übernimmt der Küster-Stellvertreter Hermann Schattke und zeigt den Besuchern Messkelche, Monstranzen und verschiedene Messgewänder. „Über 100 Messgewänder haben sich mit den Jahren angesammelt“, sagt Schattke. Und ein großer Teil sei sogar verschenkt worden. Nach knapp zwei Stunden verabschiedet Helmut Lindner die 19 Urbanus-Besucher. Die könnten jetzt wahrscheinlich auch ein Buch schreiben.