Im Flur hat Andrea Weber noch eine Menge Arbeit vor der Brust. Ölsockel und Wände tragen hie und da Spachtelmasse. Die Unebenheiten sind beseitigt, Macken behoben. Das Finish steht noch aus.

„Im Moment ist es noch zu kalt für die Arbeiten“, sagt die junge Frau. Außerdem hat sie derzeit eine andere Baustelle in der Mache. Unterm Dach möbelt sie eine Wohnung auf. Im Trockenbau wurden neue Wände eingezogen, das Bad erneuert, der schiefe Boden ausgeglichen. In Horst sind die Folgen des Bergbaus zu spüren. Selbst hier im Dachgeschoss. Den Großteil der Arbeiten hat Weber selbst erledigt. Wie so oft in den letzten Jahren, seit sie sich im Eckkomplex an der Grabbestraße vorarbeitet. Wohnung für Wohnung schafft sie seit 2008 eine neue Hausgemeinschaft. Bewohner inklusive.

Schneidermeisterin ist Andrea Weber. An einer Waldorfschule hat sie unterrichtet. Ihre Leidenschaft für den Bau und die Architektur pflegt sie von Kindesbeinen an. Vater Joachim, „Bauingenieur, Maurermeister und Vermieter mit Leib und Seele“ nahm sie oft mit auf die Baustellen. Im Hof hat Weber ihr eigenes Domizil. Die Gebäude hat ihr Urgroßvater um 1904 errichtet. „Eine WG war mir immer zu eng“, sagt sie. „Aber wir haben die vier Häuser. Und da lag es doch nah, sich sozusagen nette Leute vor die Haustüre zu holen.“ Eben Menschen, die nicht nur Mieter sind, sondern die auch untereinander mehr teilen wollen als ein gemeinsames Dach überm Kopf – zum Beispiel ihre Freizeit. Gedacht, getan. Allerdings mit längerem Vorlauf. Über ein Szenemagazin entstanden die ersten Kontakte. Für 24 Parteien bieten die Immobilien Platz, nach und nach wurden 14 Wohnungen frei. Sieben sind bereits von der neuen Hausgemeinschaft belegt. Mediengestalter und ein Lehrerpaar zogen ein, Ingo, der Bauingenieur oder Manuela, die Verlagsangestellte, Elektroingenieur Marc und auch Kinderbuchautorin Daniela kamen dazu. Singles, Paare, eine junge Familie. Ihre Profile und Freizeit-Vorlieben haben sie auf der Homepage der Gemeinschaft ins Netz gestellt. Auch, damit potenzielle Mitmieter wissen, wer und was sie erwartet.

Hausgemeinschaft, das entsprach dem Lebensentwurf von Manuela: „Ich habe ganz lange gesucht. Ich komme aus Berlin und kannte das vom Hörensagen, hier gab es das aber nicht. Wenn ich was gefunden habe, dann Öko-Hausgemeinschaften. Die wollte ich aber nicht, ich wollte eher was ,Normales.“ Das hat die 41-Jährige gefunden. Wobei: so ganz normal fiel der Start nicht aus. „Da war noch kein Garten, kein renovierter Hausflur, nichts war richtig fertig. Die ersten waren richtige Optimisten“, räumt Weber ein. Im garten hart Marc schließlich Hand angelegt und einen grünen Daumen entwickelt. Die Grün- wurde auch zur Grillzone, zum Treffpunkt.

„Das ist etwas für Leute, die Lust haben, ihre Nachbarn zu kennen und zu sehen“, sagt Kirsten. Aus Norddeutschland ist sie zugezogen und hat „eigentlich keine Hausgemeinschaft gesucht. Jetzt bin ich aber ganz glücklich, dass sich sie gefunden habe“, gesteht die 34-Jährige. Mit Marc (38) verabredet sie sich häufiger mal zum Joggen, mal geht sie auf einen Schwatz rüber zu Manuela. „Wir gehen mal ins Kino oder gemeinsam essen, aber wir haben keine Pflichtveranstaltungen“, sagt Manuela. Zu Hausgemeinschaftspartys lädt man sich gegenseitig ein, vor Weihnachten wurde gebastelt. „Aber jeder hat eben seine eigene Wohnung. Wer nicht kommen will, kommt nicht.“ Wie im richtigen Leben eben. Nur, dass man da oft erst gar nicht weiß, was seine Nachbarn so treiben. Hier gibt es einen Terminplan im Computer samt Einladefunktion, auf den alle Zugriff haben. Und in dem eben steht, wer wann was plant. Und wer mitmachen möchte. Oder eben auch nicht. Es ist einfach praktisch, wenn man mitkriegt, was andere so vorhaben“, findet Manuela. Was nicht bedeutet, dass alle permanent aufeinander hängen. „Man begegnet sich sonst genauso selten wie in jedem normalen Mietshaus“, findet Marc. Kleiner Unterschied: Andrea Weber sieht man häufiger. Meist auf einer ihrer Baustellen.