Gelsenkirchen.

„Der neue Schulentwicklungsplan wird hohe Wellen schlagen.“ Diese Prognose wagte Bildungsdezernent Manfred Beck bei der Vorstellung des Entwurfs. Wer einen Blick auf zentrale Empfehlungen des beauftragten Gutachters wirft, wird es nicht wagen, dem Bildungsdezernenten hier zu widersprechen.

Auflösung aller sieben Hauptschulen in Gelsenkirchen, Aus fürs Schalker Gymnasium, Zusammenschluss von Haupt- und Realschulen in Erle und Hassel, Umwandlung der Gesamtschule Ückendorf in eine Stadtteilschule - das sind die Knackpunkte des 301 Seiten dicken Wälzers.

Eine Botschaft ist der Schulverwaltung ganz wichtig: „Es wird keine Schule von heute auf morgen geschlossen“, betonen Beck, Bildungsreferatsleiter Alfons Wissmann und Referats-Vize Rolf Vonau.

Und auch nicht von morgen auf übermorgen. Denn: Mit der Vorlage des Entwurfs (der den Schulen und Politikern erst am heutigen Freitag zugeht) will die Stadt eine breite Diskussion anstoßen, an der sich auch Eltern beteiligen sollen. Verabschiedet werden soll der neue Schulentwicklungsplan dann im September im Rat. Und für alle aufzulösenden Schulen gelte, dass sie auslaufend geschlossen werden, so Wissmann. Der gesamte Prozess dauere bis 2018.

Dass etwas passieren muss, steht für die Stadt außer Frage: „Wir müssen auf die dramatische demographische Entwicklung reagieren“, sagt Beck. Das sei ein „natürlicher Zwang“.

Und dieser Handlungsdruck bestehe zuallererst beim „Auslaufmodell“ Hauptschule: „Das Anmeldeverhalten hat sich dramatisch verändert. Wir zwingen Eltern in diese Schulform. Ansonsten wäre sie schon nicht mehr existent.“

Der Dezernent (und Grüne) nutzte die Gelegenheit zu einem Frontalangriff auf die Bildungspolitik von Schwarz-Gelb in NRW: „Das Land hält hier an einem nicht mehr funktionierenden Schulsystem fest.“ Das werde sich nach der Landtagswahl ändern - selbst bei einer erneuten Regierungsbildung von Schwarz-Gelb, glaubt Beck.

Ein Kurswechsel in der Bildungspolitik des Landes wäre zur Umsetzung des federführend von Hubertus Schober (Projektgruppe Bildung und Region, Bonn) erstellten Gutachtens allerdings auch dringend nötig - könnten die Kernpunkte doch auf Basis der derzeitigen Schulsystems gar nicht oder nur mit (großen) Abstrichen umgesetzt werden.

Beck macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem Entwurf des Schulentwicklungsplans sehr zufrieden ist. „Ich gebe aber zu, dass ich an einigen Stellen überrascht war.“

Zwei Jahre lang hat das (vom Deutschen Städtetag als eine von insgesamt drei Büros empfohlene) „Projektgruppe Bildung und Region“ am Gelsenkirchener Schulentwicklungsplan für die Sekundarstufen I und II gearbeitet. Alle weiterführenden Schulen hat das Bonner Team um den Sozialwissenschaftler Hubertus Schober dafür besucht und ist dabei auch zu der Erkenntnis gekommen, dass die Ausstattung und der bauliche Standard der Einrichtungen „sehr gut ist“. Weniger gefallen dürften einigen Schulen die Empfehlungen, die die Projektgruppe für den Schulstandort Gelsenkirchen gegeben haben. Basis für das umfassende Gutachten waren vor allem Angaben des statistischen Landesamts (LDS). Zentrale Aussage: „Die Zahl der Schüler wird in diesem Jahrzehnt an den Grundschulen und zeitversetzt in den weiterführenden Schulen um 20 bis 25 Prozent abnehmen“, so Hubertus Schober.

Ein mühsamer Prozess stehe Gelsenkirchen bevor, der sich über Jahre hinziehen werde. Der Vorschlag, die Hauptschulen auslaufen zu lassen, betont Schober noch einmal ausdrücklich, sei nicht mutig, sondern realistisch und unvermeidbar. Auch die schwarz-gelbe Landesregierung in Hessen habe sich zu einem solchen Schritt entschieden.

Und diese Weichenstellung sieht der Entwurf für die einzelnen Schulformen u.a. vor:

Gymnasien: Die drei Gymnasien im Süden (Gauß, Grillo, Ricarda) bleiben erhalten. Schalker Gymnasium und Hauptschule Emmastraße werden „zu einer Modellschule einer drei- bis vierzügigen Sekundarschule mit neunjähriger Schullaufbahn bis zum Abitur umgewandelt“ oder alternativ (bei fehlender Genehmigung) eine weitere Gesamtschule. Bestand haben sollen auch die drei buerschen Gymnasien (AvD, MPG, Leibniz). Die mittel- bis langfristig zu versorgenden zehn Züge sollten zu größeren Teilen in den beiden sanierten Schulen am Goldberg untergebracht werden.

Gesamtschulen: Hier soll sich - jenseits der Zügigkeit nichts ändern. Ausnahme: Die Gesamtschule Ückendorf soll zu einer (kleineren) Stadtteilschule (mit Grundschule, Angeboten für behinderte Kinder und evtl. einer Kita) weiterentwickelt werden.

Realschulen: Zwei Stadtteilschulen in Erle und Hassel sollen durch Fusion von Haupt- und Realschulen entstehen (siehe Seite 1). Diese Sekundarschulen sollen an die Oberstufen von Gesamtschule Buer-Mitte (Hassel) bzw. Berger Feld/Ev. Gesamtschule/Buer-Mitte (Erle) angegliedert werden. Bäumer- (Altstadt), Lessing- (Schalke) und Mulvany-Realschule (Bulmke-Hüllen) bleiben auf lange Sicht jeweils dreizügig erhalten, so der Vorschlag des Bonner Büros.

Hauptschulen: (Auslaufende) Schließung aller sieben Hauptschulen. Für den Standort Grillostraße wird auch eine Nutzung für den Förderschulbereich erwogen.

Weiterbildungsangebote: Das Abendgymnasium habe „mit seinem Umzug von der Franz-Bielefeld-Straße in das Gebäude der ehemaligen Hauptschule Ewaldstraße in Resse einen akzeptierten Standort gefunden“. Die Raumsituation der in der Lessing-Realschule untergebrachten Abendrealschule ist „auf Dauer unzureichend“.

Berufskollegs: Optimierungsbedarf - allerdings im Rahmen einer regionalen Schulentwicklungsplanung.

Auch jenseits struktureller Weichenstellungen erwarten Gutachter und Schulverwaltung bei den Förderschulen und im integrativen Bereich erhebliche Umwälzungen. Ein Grund: die Ratifizierung der UN-Konvention, die in letzter Konsequenz auch für Kinder mit Behinderungen ein Recht auf freie Schulwahl bedeutet. „Wir wissen aber noch nicht, wie die Ratifizierung umgesetzt werden soll“, so Gutachter Hubertus Schober.

Stadt und Projektgruppe gehen allerdings davon aus, dass auch ohne feste Regelungen Schritt für Schritt mehr Kinder mit Handicaps an Regelschulen unterrichtet werden. Die Gesamtschule Berger Feld werde dafür wegen des Bedarfs im Sommer einen 2. Zug einrichten, so Bildungsdezernent Beck. Mehr sei dort aber nicht möglich; hier müssten nun auch andere Schulen aktiv werden.

Im Förderschulbereich habe Deutschland einen Sonderweg beschritten, kritisiert Schober. Und: In Gelsenkirchen liege die Quote mit 7,5 Prozent besonders hoch (Schnitt: 5 %).

Die sechs Gelsenkirchener Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen sowie die Förderschule Sprache sollten auf lange Sicht in zwei, drei „Kompetenzzentren“ münden. Diese würden nur als Stützpunkte dienen, weil der größte Teil der Schüler in Regelschulen gehen werde, so die Prognose. Für die beiden Förderschulen für geistige Entwicklung sowie für die Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung werde es auch künftig Bedarf geben, sagt Schober. Allerdings seien z.T. Standortverlagerungen vom Norden in die Bezirke Mitte oder Süd nötig, um lange Schulwege zu verhindern.

Der Schulentwicklungsplan-Entwurf steht erstmals am Dienstag, 2. März, politisch auf dem Prüfstand: in der Sitzung des Bildungsausschusses ab 15 Uhr in der Mensa der Gesamtschule Horst.