Vor sieben, acht Jahren sah die Vermittlungsquote noch so aus: Von gut 150 Schülern eines Jahrgangs drängte ein Großteil nach der 10. Klasse auf den Ausbildungsmarkt. Schulpraktika hatten sie alle in Betrieben hinter sich, doch lediglich zwei bis drei pro Jahr kamen denn auch direkt in diesen Firmen unter.
„Das kann nicht sein. Wir produzieren Schulabgänger komplett am Arbeitsmarkt vorbei“, analysierte Martin Weyer-von Schoultz, der Didaktische Leiter der Evangelischen Gesamtschule in Bismarck. Der Unterricht wurde damals umgestellt, der Praxisbezug deutlich erhöht. Seither gibt es die A-Klassen mit rund 20 Schülern und dem Schwerpunkt berufliche Orientierung. Jeden Dienstag gehen die Jugendlichen ins Praktikum. Zum Teil haben sie auch schon Ausbildungsplätze in Aussicht. 18 Schüler der A-Klasse, schätzt Weyer-von Schoultz, werden 2010 einen Ausbildungsvertrag unterschreiben können. „Unsere Philosophie ist: Keiner verlässt die Schule ohne Abschluss.“ Und auch nicht ohne weiterreichende Einblicke in den Berufsalltag. Alternativen anschauen ist dabei jedes Jahr angesagt. Diese Woche wieder.
Vor dem Bismarcker Handwerkermarkt hat Weyer-von Schoultz seine Neuntklässler verteilt: auf Bäckereien und Gartenbaubetriebe, eine Spedition, auf Malermeister, in einer Druckerei und und und. „Auch wenn sie schon durch ihr Jahrespraktikum eine relative Orientierung haben, sollen sie noch einmal ganz andere Branchen kennenlernen“ – wie Alina Kosmann. Eigentlich hat die 16-Jährige einen klaren Berufswunsch: Pferdewirtin und Jockey will sie werden, ein entsprechendes Praktikum macht sie, nächstes Jahr will sie auf die Jockeyschule in Köln gehen. „Wenn alles klappt“. In diesen Tagen haben die großen Tiere Pause. Alina arbeitet in der Bäckerei Zipper mit – im Service, in der Backstube. Kuchen und Törtchen belegen, Teig zuschneiden, Geschirr spülen, Tische abwischen. Das selbe Pensum haben Leroy Steinke (16) und Mandy Habermehl. Leroy will Koch werden. Im Maritim macht er sein Jahrespraktikum. „Ich wollte auf jeden Fall in dieser Woche nochmal in die Produktion“, sagt er. Mit flinken Fingern belegt er Erdbeerkuchen. „Das ist in Ordnung. Was ich hier machen konnte, hat mir gefallen“, sagt er. Dass sie zuverlässig sind, die Anforderungen von Betrieben erfüllen können und nicht im Umgang mit Menschen scheitern, können die Jugendlichen in der Praxis beweisen. „Es tut ihnen gut, so viel wie möglich an Erfahrung zu sammeln“, glaubt der Didaktische Leiter. Und auch Konditormeister Christian Zipper (40), Chef von aktuell zehn Azubis unter 55 Mitarbeiter in sieben Filialen sieht’s positiv. „Wir haben Ausbildungsbedarf und gucken noch nach qualifizierten Bewerbern.“ An denen mangelt es zunehmend. „Viele mit Hauptschulabschluss kommen an ihre Grenzen“, stellt der Innungs-Obermeister fest. Praktika sieht er als gute Chance, die „Wege in die Betriebe zu öffnen“.
Beim Handwerkermarkt ist Zipper Freitag dabei und wird mit seinen Praktikanten Kuchen belegen und auftischen. Einen Stand wird auch Christian Verse vom Koi Teichzentrum Westerholt aufbauen. Die Chance nutzen und Präsenz zeigen, Kontakte knüpfen – das gilt nicht nur für Schüler, sondern auch für Geschäftsleute. Verse pflegt mit der Teich AG regelmäßig die weitläufige Anlage rund um die Schulbibliothek. Letztes Jahr wurden Uferteile mit Schilf und Rohrkolben bepflanzt, diesmal werden Flachwasserzonen geschaffen, um auf Dauer die Selbstreinigunsgkräfte des Gewässers zu optimieren. Tina Henkelüdecke (15), Pascal Klaus , Dominik Schmidkuhl und Maximilian Hein schaufeln Schotter, kippen Schubkarren und Eimer voll ins Wasser. „Seit gestern haben wir fünf Tonnen eingebracht“, sagen die 16-Jährigen. Knochenarbeit. Pascal macht sein Jahrespraktikum bei der AOK und ist „gerade dabei, mal was anderes auszuprobieren“. Die „Kiddies sind echt mit Spaß dabei“, stellt Verse fest. Tina hat vor allem in den letzten Tagen bei Gärtnerarbeiten rund um die Schule viel gelernt. „Aber für einen täglichen Beruf wäre mir das zu anstrengend.“ Auch eine Praxis-Erfahrung.