Ob Chinesisch, Business English oder Bewerbungstraining: Die Gelsenkirchener Gymnasien bereiten in Arbeitsgemeinschaften gezielt auf Beruf und Studium vor.
„Sie müssen sehen, wie sie ihr persönliches Portfolio erweitern.” Ein Satz, wie aus einem Beratungsgespräch mit einem Börsenmakler oder Banker. Er stammt aus einer Sprache, die an Begriffen wie „Humankapital” und „menschliche Ressourcen” nichts Anstößiges findet.
Gesagt hat diesen Satz Franz-Lutger Schürmann, stellvertretender Direktor des Gelsenkirchener Gauß-Gymnasiums - über seine Schüler. Nun ist Schürmann mit Sicherheit kein kalter Kapitalist, sondern ein Pädagoge, der sich stetig für die Zukunft seiner Schüler engagiert. Und dort möchte man so wenig wie möglich dem Zufall überlassen: „Je früher und häufiger die Schüler mit der Berufswelt in Kontakt kommen, desto besser”, sagt Schürmann. Dafür organisiert die Schule Bewerbungstraining sowie Informationsveranstaltung für Beruf und Studium, vermittelt Kontakte zu lokalen Unternehmen kooperiert mit Sponsoren - und befindet sich mit diesem Ansatz in guter Gesellschaft.
„Unser Ziel ist es die Schüler stärker auf das Berufsleben vorzubereiten”, sagt Manfred Gast, Schulleiter des Grillo-Gymnasiums, und ergänzt: „Wir wollen die Jugendlichen frühzeitig für die Frage sensibilisieren: Was mache ich eigentlich mit meinem Abitur.” Gast sagt das am Rande einer Verleihung: Acht Schülerinnen und Schüler des Riccarda-Huch- und Gauß-Gymnasiums bekommen das „Englisch for Business Certificate” überreicht - eine Auszeichnung für Wirtschaftsenglisch von der Londoner Industrie- und Handelskammer. In 25 Doppelstunden haben sich die angehenden Abiturienten in die Materie eingearbeitet, Fachvokabeln gebüffelt und für die abschließende Prüfung gelernt - nach dem Unterricht und freiwillig, wohlgemerkt.
Wieso? „Das hilft uns im Vergleich mit anderen Bewerben”, sagt Christina Terstegen mit Blick auf den in Kürze anstehenden Wettstreit um Ausbildungs- und Studienplätze. „Man muss sich ja von den anderen unterscheiden”, ergänzt Atif Özen, der als einziger Junge ein Zertifikat erhielt. „Zusatzqualifikation”, „Pluspunkte” und „Plan B” sind Worte, die im Gespräch mit den Absolventen des „Business English”-Kurses fallen, von denen übrigens keiner explizit ein Wirtschaftsstudium anstrebt. „Die Schüler sind relativ früh schon sehr zielstrebig”, findet Manfred Gast vom Grillo-Gymnasium.
Und die Schulen tragen der „gestiegenen Nachfrage” nach Zusatzqualifikationen durchaus Rechnung: Am buerschen Anette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium gab es über 30 Bewerber auf die 16 Plätze einer AG, die Schüler „Fit for Life” machen soll: Von Bewerbungstraining über Benimmregeln bis zum Umgang mit Finanzen lernen die Schüler hier nicht für die Schule, sondern fürs Leben. Doch das ist nur der Anfang: An vielen Gelsenkirchener Gymnasien, unter anderem am Gauß-, Grillo- und Ricarda-Huch-, werden bilinguale Klassen angeboten, in denen die Schüler nicht nur den normalen Englischunterricht besuchen, sondern nach und nach auch Erdkunde, Biologie und Geschichte auf Englisch lernen. Englische „Cambridge”-Zertifikate und das französiche DELF-Programm, die ab einem gewissen Level das Studieren an einer ausländischen Universität ohne vorherigen Sprachtest ermöglichen, gehören an den meisten Gelsenkirchener Gymnasien längst zum Standardangebot und werden von vielen Schülern genutzt. „Damit haben die Jugendlichen schon während der Schulzeit die Chance, erste Qualifikationen für Studium oder Beruf zu erwerben”, sagt Manfred Gast vom Grillo-Gymnasium.
Dort startet im kommenden Jahr die erste „MINT”-Klasse, in der Schwerpunkte auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gelegt werden - so dass sich die Kinder noch früher spezialisieren können. Damit trage man der aktuellen Entwicklung auf dem Berufs- und Studienmarkt Rechnung, sagt Manfred Gast: „Wir schärfen unser Profil und pflegen es - im Sinne der Schüler.”
Genauso sieht es sein Kollege vom Gauß-Gymnasium, Franz-Lutger Schürmann, wenn er über die Chinesisch AG an seiner Schule spricht: „China ist ein Riesenmarkt. Wer es versteht, dort etwas zu verkaufen, hat Vorteile.” Dazu sieht Schürmann das Angebot als eine Art „Begabtenförderung, für Schüler, die nicht ganz ausgelastet sind.” Doch geht denn bei der Suche nach Kontakten, beim Büffeln für „Business English” und Mandarin nicht die persönliche Freiheit der Schüler verloren?
Schürmann kann das nicht bestätigen: „Durch Netzwerke und Qualifikationen ergeben sich ganz neue Freiräume und Möglichkeiten”. Und er ergänzt schmunzelnd: „Keine Sorge, die Schüler finden immer noch genug Zeit, sich am Wochenende zu amüsieren.”