Gelsenkirchen. Erschreckend: Wie das Ensemble um Brambach den Kästner-Roman „Der Gang vor die Hunde“ auf Gelsenkirchens Musiktheater-Bühne bringt.
Wenn Christine Sommer am Ende eines großen Schauspielabends im uniformgrauen Trench und mit Hitlerbärtchen „We’ll meet again …“ („Wir sehen uns wieder“) singt, dann läuft es den meisten im Publikum sicherlich eiskalt den Rücken runter. Wie vorausschauend Literatur tatsächlich sein kann, das dokumentiert Erich Kästners Roman „Fabian“ aus dem Jahr 1931. Unter dem ursprünglichen Titel „Der Gang vor die Hunde“ schuf das Ehepaar Martin Brambach und Christine Sommer eine satirisch-rasante, humorvolle und tiefgründige Revue, die das ausverkaufte Kleine Haus im Musiktheater im Revier mit stehenden Ovationen und Jubel feierte.
Der Text von Kästner, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 125. Mal jährt, war zu seiner Entstehungszeit so brisant, so mahnend und warnend wie heute. Im Mittelpunkt steht der Moralist Dr. Jakob Fabian, ein braver Werbetexter, der unverhofft in den Strudel des sündigen Berliner Nachtlebens und zwischen die politischen Fronten gerät.
Ensemble inszeniert in Gelsenkirchen den Berliner Großstadttaumel
Die Zuschauer kennen und lieben Martin Brambach, der zusammen mit seiner Frau seit vielen Jahren in Recklinghausen lebt, vor allem als Dresdener Tatort-Kommissar Schnabel. Dass er auch ein hervorragender und überaus präsenter Bühnenschauspieler ist, bewies er an diesem Abend ebenso wie Jürgen Hartmann, der im Fernsehen den Gerichtsmediziner Vogt im Stuttgarter „Tatort“ gibt. Zusammen mit Jubril Sulaimon brachte das Quartett einen ganzen Roman überzeugend auf die Bühne, musikalisch begleitet vom Trio Cathrin Groth (Saxophon), Markus Conrads (Bass) und dem Gelsenkirchener Gitarristen Christian Hammer. Christiane Sommer schlüpfte großartig in unterschiedliche Rollen.
Im raschen Wechsel las Brambach, am Bistro-Tisch sitzend, mal aus dem Kästner-Taschenbuch, fiel zwischendurch aus der Rolle, in dem er den Zuschauern als „Werbetexter“ Whiskey aus Dresden, Mode aus Recklinghausen oder Zigarren aus Berlin anpries, spielte dann wiederum Szenen aus dem Roman. Ob der Song „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ oder „Zwei in einer großen Stadt“, der Soundtrack harmonierte perfekt mit dem inszenierten Berliner Großstadttaumel aus Genusssucht, Dekadenz, Machtstreben, Arbeitslosigkeit und aufkeimendem Nationalsozialismus.

Damals war Kästners Roman über eine politisch instabile, wankende, genusssüchtige Welt, in der die Moral vor die Hunde ging, brandaktuell. Erschreckenderweise ist er es heute wieder. Das dokumentierte dieser brillante Streifzug durch Kästners Text, mit dem das Ensemble derzeit durch ganz Deutschland tourt, mit viel Witz, Humor, Leichtigkeit und großer Klarheit. Am Ende steht die Klage über die Trägheit und Bequemlichkeit eines jeden Einzelnen und die mahnende Drohung: „We’ll meet again“.
Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder abonnieren Sie uns kostenlos auf Whatsapp und besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.