Gelsenkirchen-Rotthausen. Gelsenkirchener Bürgermeister schlägt Alarm. Kirche strebt Vermarktung an. Handel statt integrativer Sozialarbeit im Gemeindehaus?

Der Kirche laufen die Mitglieder davon, mit ihnen schwinden die Einnahmen. Wozu das führt, ist an vielen Stellen zu sehen, nicht nur in Gelsenkirchen. Gemeinden werden zusammengelegt, unbenutzte Gotteshäuser werden mancherorts zu Ruinen. Nachnutzung? Offen. Die Folge: Es werden neue Einnahmemöglichkeiten in Betracht gezogen. So wie jetzt in Rotthausen, wo Bezirksbürgermeister Michael Thomas Fath Alarm schlägt. Und das nicht zum ersten Mal.

Der SPD-Politiker hatte mit Blick auf die massiven Probleme durch zugewanderte Menschen von „Integrationsresistenz“ gesprochen und zusammen mit seinen Amtskolleginnen und -Kollegen in drastischen Worten vor einem Zusammenbruch der Stadtgesellschaft gewarnt. „Ganz Gelsenkirchen schaut machtlos zu, wie unsere Stadt den Bach heruntergeht.

Umbau, Abriss, Neubau - was wird aus den Immobilien der Gelsenkirchener Emmaus-Gemeinde?

Eine neuerliche Schieflage befürchten Fath und eine Reihe aktiver Mitglieder der „Evangelischen Emmaus-Kirchengemeinde“ in Rotthausen, wenn die Jugendsozialarbeit im Quartier mangels Räumlichkeiten heruntergefahren wird. Bei der Sitzung der Bezirksvertretung Süd äußerte Fath, dass genau dieses Szenario drohe, wenn die zweckgebundenen Fördergelder 2026 ausliefen, die unter anderem die Jugendsozialarbeit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Mieter im Gemeindegebäude überhaupt erst möglich machten.

„In Rotthausen leisten Falken und AWO einen großen Beitrag, Jugendliche von der Straße zu holen und ihnen Orientierung und sinnvolle Freizeitbeschäftigungen zu bieten. Viele Anwohner und ich fürchten, dass die Kirchengemeinde die Arbeit der AWO zu Gunsten einer lukrativeren Vermarktung ihrer Immobilien aufgibt. Wir haben alle Angst davor, was dann passiert. Und zwar, dass die Kirche das Quartier abschaltet.“

Treffpunkte für Kinder und Jugendliche im Stadtteil sind das „Meyer56“ am Ernst-Käsemann-Platz und eben die AWO, die im Rotthauser Gemeindehaus an der Schonnebecker Straße ein breites Angebot bereithält. Nicht nur für eine jüngere Klientel. Erwachsenen-Spielschar, Sport- und Frauengruppen finden dort ebenso eine Heimat wie eine Jugend-Disko. Dazu gibt bzw. gab es Kooperationen mit der Mechtenbergschule, der Turmschule und der Hauptschule am Dahlbusch.

Die Arbeiterwohlfahrt ist Mieter im Rotthauser Gemeindehaus. Dort gibt es ein breites Angebot. Nicht nur für eine jüngere Klientel. Erwachsenen-Spielschar, Sport- und Frauengruppen finden dort ebenso eine Heimat wie eine Jugend-Disko.
Die Arbeiterwohlfahrt ist Mieter im Rotthauser Gemeindehaus. Dort gibt es ein breites Angebot. Nicht nur für eine jüngere Klientel. Erwachsenen-Spielschar, Sport- und Frauengruppen finden dort ebenso eine Heimat wie eine Jugend-Disko. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Gemeindemitglieder und Mitarbeitende, die anonym bleiben wollen, berichten, dass die Kirchengemeinde mit dem Auslauf der Fördergelder in 2026 eine andere Nutzung ihrer Immobilien plane - von „Umbau und Verkauf“ und sogar von „Neubau“ ist die Rede. Was genau dahintersteckt, möchten die Gemeindemitglieder wissen. Bislang aber, so wird beklagt, „stelle man sich auf der Führungsebene dumm“, offen und detaillierter kommuniziert würde zu den Plänen so gut wie nichts. Und ob zu dem Thema bei der nächsten Gemeindeversammlung am letzten Sonntag im Monat (28. April, 11.15 Uhr, Robert-Koch-Straße 3a) endlich mehr zu erfahren sei - „fraglich.“

Verkauf des Kirchenareals rückt näher - Stadttochter hat Angebot geprüft

Die Insider klagen: Schon jetzt gebe es nur noch Gottesdienste an hohen Feiertagen, sei die Kooperation mit einer nahen Schule beendet worden. Und dank neuem Raumnutzungskonzept – „Fremdnutzung ausgeschlossen“ – habe just das „Rockorchester Ruhrgebeat“ in die Heilig-Kreuz-Kirche umziehen müssen, obwohl das technische Equipment vor Ort eigens für Konzerte angeschafft worden sei.

Pfarrer Bernd Naumann, Vorsitzender und Sprecher der Kirchengemeinde, bestätigt die Suche nach neuen Nutzungsmöglichkeiten, betont aber zugleich, dass Beschlüsse in den vergangenen drei Jahren offen kommuniziert worden seien. „Alle Kirchen und Gebäude in Rotthausen, in der Neustadt, in Schalke und in der Feldmark müssen einer neuen Nutzung zugeführt werden. Bei dieser Arbeit sind wir unterschiedlich weit in den einzelnen Stadtteilen.“ Details nannte er aber nicht. Nur so viel: Dass der Mietvertrag mit der AWO unbefristet sei. Was eine Kündigung aber nicht ausschließt.

Der Verkauf der Kirchen-Immobilien scheint nach Recherchen dieser Zeitung die favorisierte Lösung zu sein. Harald Förster, Geschäftsführer der Stadttochter GGW, eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, ist zumindest „nach Prüfung des Angebots zu dem Schluss gekommen, dass wir kein Kaufangebot abgeben.“

Dafür aber vielleicht andere Projektentwickler, die wie die Stadt, den Ausbau der Nahversorgung rund um die nahe Einkaufsmeile Karl-Meyer-Straße, im Blick haben. Der Kirchengemeinde gehört nach eigenen Angaben „die Steeler Straße 46 bis 52 und Schonnebecker Straße 21 bis 27“. Darunter befinden sich auch zwei vermietete Stadtvillen (50/52). Macht zusammen ein Areal von gut 6700 Quadratmetern, das sich nach Meinung von Branchenkennern für die Ansiedlung weiteren Einzelhandels eignete. Rewe (Steeler Straße 89-95) und Netto (Steeler Straße 103) sind bereits vor Ort, „Edeka und/oder Aldi“ stellten ihnen zufolge eine „super Ergänzung“ dar. Prognostizierte Mieteinnahmen pro Jahr durch einen solchen Standort: „eins bis 1,5 Millionen Euro“. Nur: AWO, Mieter und die anderen Nutzer - sie alle müssten eine neue Bleibe finden.