Gelsenkirchen. Juristische Niederlage für den Süßwaren-Händler Hussel: Das Unternehmen ließ eine Verkäuferin von Detektiven testen und kündigte ihr daraufhin. Zu Unrecht, wie das Gelsenkirchener Arbeitsgericht jetzt urteilte. Solche verdeckten Testkäufe verletzten das Persönlichkeitsrecht.

Bienenstich, Pfandbon und Brotbelag - mit diesen Stichworten lässt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung umreißen. In diesen drei Fällen hatten Unternehmen ihren Mitarbeitern wegen vergleichweise kleiner Vergehen gekündigt - und vor Gericht Recht bekommen.

Die Arbeitsgerichte, das Landesarbeitsgericht in Hamm und das Bundesarbeitsgericht in Erfurt bestätigen bislang derartige Kündigungen fast ausnahmslos. Der Vertrauensverlust sei so groß, dass eine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar sei.

Das Gelsenkirchener Arbeitsgericht - trotz Kenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung - scherte jetzt aus dieser Linie aus: Die fünfte Kammer unter Vorsitz von Richter Zumfelde ließ sowohl die fristlose wie auch die fristgerechte Kündigung einer Mitarbeiterin durch den Süßwarenhersteller Hussel nicht gelten.

Detektive stellten Verkäuferin auf die Probe

Hussel hatte Detektive zu Testkäufen engagiert und die stellten die ahnungslose Kassiererin über Monate mehrfach auf die Probe. Ihre Erkenntnisse sollten vor dem Arbeitsgericht den Rauswurf der 54-Jährigen begründen, die angeblich eingenommenes Geld neben und nicht in die Kasse gelegt haben sollte.

Doch dazu kam es jetzt erst gar nicht: Richter Zumfelde ließ deren Feststellungen als Beweis nicht zu: Derartige Testkäufe seien nicht mit dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vereinbar, das „in dessen Menschenwürde verwurzelt” sei.

Testkäufe ohne vorherige, Information des Arbeitnehmers, die auch zeitlich einzugrenzen seien, verstießen, so Zumfelde, gegen die arbeitsvertragliche Rücksichts- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, sowie gegen Treu und Glauben. Sie greifen in eben das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers unverhältnismäßig ein. Und das sei auch an seinem Arbeitsplatz zu garantieren.

Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht sind wichtiger

Das Gericht verkannte nicht, dass Kontrollen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber grundsätzlich erlaubt sind. Durch technische Vorrichtungen mit den heutigen Kassen sei dies beispielsweise möglich. Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht seien für die Kammer höher einzustufen als ökonomische Interessen von Hussel: Die Kassiererin, seit 1994 bei Hussel, muss weiter beschäftigt werden. Der Instanzenweg hat begonnen.

In bester Erinnerung ist noch die fristlose Kündigung 2008 einer 50-jährigen Berlinerin, die nach 31 Jahren Firmenzugehörigkeit bei Kaiser's für 1,30 Euro Flaschenpfandbons nicht in die Kasse gelegt hatte. Das Landesarbeitsgericht Berlin mit Blick auf höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigte bereits den Rauswurf.

Auch die Pausenbrötchen zweier Bäcker aus Bergkamen mit dem Belag aus der Auslage beschäftigen noch die arbeitsgerichtlichen Instanzen. Brot aus einem Abfallcontainer wurde ebenfalls als Diebstahl gewertet, die Mitarbeiterin aus Dortmund gefeuert. In Gelsenkirchen steckte sich ein Arbeiter eines Großbäckers ein Packet Schwarzbrot ein - er flog raus. Drei Fischbrötchen sorgten in Frankfurt bei einer Küchenhilfe für einen Rauswurf und in Nürnberg verlor ein 50-Jähriger nach 31-jähriger Firmenzugehörigkeit wegen 500 Gramm Brot seinen Job.

Auch die Kontrollen der Arbeitnehmer in Form von Testkäufen oder Ehrlichkeitstests vornehmlich bei Discountern wie Lidl oder Aldi werden immer wieder mit „Vertrauen” gerechtfertigt.

Mehr zum Thema: