Gelsenkirchen. Das 4. Sinfoniekonzert der Neuen Philharmonie Westfalen im Gelsenkirchener Musiktheater war ein Abend mit geballter Frauenpower.
Eine mysteriöse Klarinette, ein Tusch der Becken und dann ein warmes Streichertutti: So effektvoll startete am Montagabend im Musiktheater im Revier (MiR) das 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison.
Gastdirigentin Anna Skryleva ließ die Neue Philharmonie Westfalen (NPW) mit dramaturgischer Präzision durch die drei Sätze von „Ethiopia´s Shadow in America“ gleiten. Die afro-amerikanische Komponistin Florence Price zeichnet in ihrem Werk von 1932 musikalisch die Geschichte der Sklaverei in der Neuen Welt nach. Es waren filigrane Landschaften aus feinen Flöten- und Oboentönen, die die Musiker der NPW zeichneten, aufwühlende Emotionen von Resignation und Glaube schwang sich durch die tiefen Saiten der Celli und Kontrabässe. 14 Minuten von mitreißender Dynamik.
„Komponistinnen“ lautete das Motto des Abends in Gelsenkirchen
„Komponistinnen“ lautete der Titel des Abends. Ausschließlich Werke von Frauen standen auf dem Programmzettel. Ein weiblicher Dirigent, eine Solistin am Klavier. Macht das in der Musik einen Unterschied? „Was ist weiblich, was ist männlich?“ hinterfragte Skryleva im Gespräch vor dem Konzert mit der WAZ. „Für mich sind nur Authentizität und Qualität von Bedeutung.“ Bei den sinfonischen Sätzen von Price schwang Dvorak mit, oder Gershwin, eine genuine Komposition aus Wurzeln der Vergangenheit und Inspiration der eigenen Gegenwart, ein autonomes künstlerisches Gesamtbild. Das ist keinem Geschlecht zuzuordnen.
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Das Konzert für Klavier und Orchester a-moll op. 7 von Clara Schumann reihte sich nahtlos ein. Ein romantisches Meisterwerk, Punkt. Katharina Treutler brillierte am Flügel in den endlos verspielten Episoden, ausdrucksstark und mitreißend die Zusammenspiele mit dem Orchester. Ein kontinuierlicher, reicher Traum an perlenden Klängen, zauberhaften Einwürfen, detaillierten Echos. Ein Höhepunkt sicherlich der perfekte Dialog von Treutler und der Cellistin Lydia Keymling im zweiten Satz.
Stehende Ovationen des Publikums nach dem großen Finale
Nach der Pause erfolgte ein Sprung in die heutige Gegenwart – mit Anna Clynes „Pivot“ für Streichquintett und Orchester in einer deutschen Erstaufführung. Inspiriert von schottischem Folk schnalzte der Kontrabass die Saiten zum Tanz, in den die anderen Streicher einstimmten. Doch das Werk ist gezeichnet von Brüchen. Töne flirrten episodenweise scheinbar wahllos umher, dann, wie von einem Magnet angezogen, vereinigen sie sich wieder zu einer rhythmischen Einheit im Gesamtklang. Skryleva hatte die energiegeladene Dynamik bis ins kleinste Detail im Griff, führte das Orchester mit sicherem Taktstock auf der einen Seite und einer liebkosenden zweiten Hand.
Das große Finale des Abends bot die klassische Komposition von Emilie Mayer aus dem beginnenden 19. Jahrhundert, die Sinfonie Nr. 1 c-moll, tief verwurzelt im großen einheitlichen Orchesterklang, von unglaublicher Ästhetik. Stehende Ovationen des Publikums gab es für ein großartiges Programm. Der rote Faden waren die „Frauen“, so gab es ein wahres Feuerwerk an stilistisch unterschiedlichsten Werken aus verschiedenen Epochen.
Das Orchester meisterte alles mit Bravour, Anna Skryleva hatte minuziös und ausdrucksstark gearbeitet. Spielt das „Frau sein“ also doch keine Rolle mehr? „Wir sind noch im Fluss einer Entwicklung“, sagte Skryleva. „Es gibt heute mehr Dirigentinnen, mehr weibliche Vorbilder als zu der Zeit, als ich mit dem Studium angefangen habe. Aber es ist leider immer noch ein Thema.“