Gelsenkirchen. Dass Schüler durch ChatGPT das Lernen verlernen könnten, verunsichert viele Lehrer und Eltern. Ein Besuch mit KI im Klassenzimmer.
Es braucht nur eine kurze Anweisung, schon hat der Textroboter ChatGPT übersichtliche Stichpunkte für das Biologie-Referat an die Tafel geworfen – viel müheloser als jeder der 22 Schüler des Bio-Leistungskurses des Gelsenkirchener Max-Planck-Gymnasiums die Hausaufgabe hätte erledigen können. Überrascht ist im Klassenraum jedoch niemand mehr über das, was die vor knapp einem Jahr veröffentlichte textgenerierende Künstliche Intelligenz (KI) leisten kann.
Viele hier haben Anwendungen wie diese schon mal für Schulaufgaben benutzt, einige mögen es nicht oder nur zögerlich zugeben. „Es ist einfach bei vielen Lehrern ein richtiges Tabu-Thema“, sagt die 16-jährige Schülerin Ayse. Doch das muss sich ändern, finden Experten. Schließlich sei die Technik keine Bedrohung, sondern eine sinnvolle Erweiterung für Lernende und Lehrende, wie Bildungsforscherin Prof. Nikol Rummel betont.
Bildungsforscherin: ChatGPT ist längst im Lernalltag angekommen
Sie leitet am Bochumer Center for Advanced Internet Studies (CAIS) das Forschungsprogramm Bildungstechnologien und Künstliche Intelligenz und forscht seit vielen Jahren zum computergestützten Lernen. KI sei für Schule und Bildung eine tolle Chance, sagt sie. „Wir müssen allerdings dahinkommen, nicht nur auf die technologischen Möglichkeiten zu reagieren, wir müssen auch agieren und einen sinnvollen Umgang damit gestalten“, sagt sie. Nutzungsstatistiken zeigten, dass ChatGPT längst im Lernalltag angekommen sei. „Nun geht es darum, zu überlegen und empirisch zu untersuchen, wie Lernen mit ChatGPT angeleitet werden kann, statt unproduktiv Lernprozesse an die KI auszulagern.“
Das wissen auch die Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe: „KI macht mir vielleicht eine gute Präsentation, aber es bringt mir ja nichts, weil ich nichts gelernt habe“, sagt etwa Öykü. Lebhaft beteiligen sich die Schüler an diesem Herbsttag an der Diskussion, zu der Lehrerin Carolin Heider auch Esther Laukötter, Referentin für Wissenschaftskommunikation am CAIS, eingeladen hat. Heider will gemeinsam mit dem Kurs mehr erfahren über Möglichkeiten und Grenzen der KI im Klassenraum – und hat daher die Expertin eingeladen.
Lehrerin: Vertrauensvollen Umgang schaffen, statt Nutzung verteufeln
„Ich will ihnen nicht vermitteln, dass das irgendwie Teufelszeug ist. Mir ist ja klar, dass die das benutzen “, erklärt Heider. Umso wichtiger sei ein vertrauensvoller Umgang miteinander, um gemeinsam zu lernen, wie man die Tools sinnvoll einsetzt. Die Jugendlichen, die sich zu Wort melden, sind längst dabei, ihren eigenen, durchaus kritischen Umgang mit den neuen Möglichkeiten zu finden: Was die Quellen für die KI-Texte seien, lasse sich schwer überprüfen, wenden viele ein. Andere stört, dass sie sich bei ChatGPT vor der Nutzung registrieren müssen.
Wegzudenken sind die Anwendungen aus ihrer Welt aber nicht mehr: „Das kann man nicht einfach verbieten, weil wir das ja auch in unseren späteren Berufen sicher brauchen“, sagt Noah. „Wir sollten eher lernen, wie man es schafft, aus den Texten von der KI sein eigenes Werk zu machen“, fügt er hinzu.
Unsicherheiten bleiben bei Lehrkraft und Schülern: Wie weit sollte der Einsatz des Hilfsmittels gehen? Wie kennzeichnet man die Nutzung von KI? Und was, wenn Schüler versuchen, KI-erzeugte Texte als Eigenleistung zu verkaufen? Besteht die Gefahr, dass die KI den Kindern und Jugendlichen soviel abnimmt, dass sie nicht mehr richtig lernen?
Schulministerium: Leitfaden ermuntert zum kritischen Einsatz mit KI
Schon Ende Februar hatte das NRW-Schulministerium einen Leitfaden zu solchen Fragen vorgelegt. Darin ist geregelt, dass Schüler KI nutzen dürfen, dies aber angeben müssen. Das zwölfseitige Papier sensibilisiert für Möglichkeiten und Grenzen der Software und ermuntert, die KI im Unterricht einzusetzen und gleichzeitig einen kritischen Umgang damit zu lehren. In einer inzwischen eingerichteten „Task-Force KI“ sollen laut Schulministerium Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zudem gemeinsam mit den zuständigen Ministerien Vorschläge für konkrete landespolitische Maßnahmen zur verantwortungsvollen Integration von KI in Lehr- und Lernprozesse erarbeiten. Unter Leitung NRWs arbeite außerdem eine Arbeitsgemeinschaft der Kultusministerkonferenz an länderübergreifenden Ansätzen zu dem Thema, hieß es weiter.
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Noch im Frühjahr dieses Jahres hatte eine Umfrage des Philologenverbandes NRW weit verbreitete Unsicherheit gegenüber ChatGPT und Co offengelegt. So lehnte ein Drittel eine Nutzung ab, eine Mehrheit von 60 Prozent gestattete den Einsatz von KI, für Hausaufgaben oder Facharbeiten aber nicht.
„Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass sich die anfängliche Skepsis mittlerweile gelegt hat“, sagt Sabine Mistler, NRW-Vorsitzende des Philologenverbandes, ein halbes Jahr nach der Erhebung. KI-basierte Anwendungen würden etwa von Lehrkräften auch zur Unterrichtsvorbereitung genutzt. Viele wünschten sich jedoch mehr Vorgaben zur rechtssicheren Nutzung: „Problematisch wird es immer dann, wenn die Nutzung etwa bei schriftlichen Hausarbeiten nicht kenntlich gemacht oder verschleiert wird. Hier gibt es derzeit noch keine Möglichkeiten, die missbräuchliche Nutzung nachzuweisen oder sie zu verhindern“, wendet Mistler ein.
Forscherin: KI erweitert Fähigkeiten statt Menschen zu ersetzen
„Forschung, Bildungspraxis und -politik müssen gemeinsam überlegen, welche vernünftigen pädagogischen Ziele mit dem Einsatz von KI gefördert werden können und entsprechende didaktische Modelle entwickeln“, betont auch Bildungsforscherin Rummel. Künstliche Intelligenz, wie sie sie verstanden wissen will, soll den Menschen nicht ersetzen, sondern seine Fähigkeiten erweitern. Dazu brauche es auch ganz neue Kompetenzen: Statt den Textrobotern vorzuwerfen, sie seien ungenau, sei es wichtig zu lernen, wie man ihnen präzise Fragen oder Aufgaben stellt, die erwünschte Ergebnisse generieren. Statt zu beklagen, dass sie auch falsche Informationen produzierten, brauche es Faktencheck-Kompetenz. Zudem sei es wichtig, die dahinterstehenden Funktionsweisen zu kennen. Die Systeme könnten außerdem als Lernpartner agieren und vielfältige Inhalte erklären. „Eine KI rollt auch nicht mit den Augen, wenn ich sie das fünfte oder sechste Mal etwas frage“, sagt Rummel.
Lehrerin Carolin Heider vom Gelsenkirchener Gymnasium ahnt, wie groß die Aufgabe ist. „Ich muss selbst noch ganz viel lernen“, gesteht sie. Sie will KI künftig stärker und spielerisch einbinden – und sich andererseits bemühen, Aufgaben auch so zu stellen, dass sie nicht allein von Künstlicher Intelligenz erledigt werden können. „Vielleicht muss man dann mal wieder handschriftlich etwas erarbeiten oder vor der Klasse präsentieren“, sagt Heider. (dpa)