Gelsenkirchen-Erle. Ein Projektkursus der Gesamtschule Erle hat ein Schuljahr lang zum Thema Widerstand in Gelsenkirchen im hiesigen Stadtarchiv geforscht.
Geschichte ist für junge Menschen meist abstrakt. Schulbücher geben das große Ganze wieder, selten jedoch berührende Einzelschicksale aus der eigenen Stadt. Der Projektkurs der Gesamtschule Erle, „Erle goes history“, hat einen ganz anderen Weg beschritten: Ein Jahr lang forschten die Schülerinnen und Schüler im Institut für Stadtgeschichte unter Mithilfe von Mitarbeiterin Sarah Gartner zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten in Gelsenkirchen.
Dabei ging es auch um die Frage, wie aktuell das Thema Widerstand eigentlich ist. „Dadurch, dass wir auf die Vergangenheit blicken, können wir unsere Erfahrungen anwenden im Hier und Jetzt“, sagte Emily Özkul bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwochabend in der Gesamtschule. „Es geht auch heute darum, sich immer eine eigene Meinung zu bilden, um Demokratie eben“, sagte die 17-Jährige. „Wir haben gelernt, selbst zu forschen.“ Das sei, so empfinden es die jungen Leute, besonders in diesen Tagen bedeutsam. „Wir leben in einer Welt mit so vielen Informationen, da ist es wichtig, alles zu hinterfragen. Denn: Nicht alles, was jemand im Netz geschrieben hat, ist wahr“, so Ruben Augusto.
Schüler lernen die Schicksale der Gelsenkirchener Widerstandskämpfer kennen
„Um aus Vergangenem zu lernen, sind die Stolpersteine für uns so wichtig“, erklärte Emily. „Irgendwo sieht man immer eine Erinnerung an die Geschichte. Daher war es so schön, mehr über Alfred und Margarete zu erfahren.“ Gemeint sind die Gelsenkirchener Widerständler Alfred und Margarete Zingler, denen sie sich mittlerweile so nahe fühlt, dass sie mit ihnen gewissermaßen per Du ist.
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Die Erler Jugendlichen hatten gemeinsam mit ihrer Lehrerin Jennifer Horstmann die Schicksale des Ehepaars Zingler und das von Fred Abraham Kleinbardt erforscht, auch Kleinbardt wurde Opfer des NS-Terrors. Am Mittwochabend präsentierten sie ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit. Dabei banden sie auch ganz berührende Momente ein: Ein Schüler etwa las Zeilen aus dem Abschiedsbrief Alfred Zinglers an seine Frau vor, geschrieben wenige Minuten vor dessen Hinrichtung.
Das berichtet Carl Goerdeler von seinem berühmten Großvater
Rasch wurde deutlich: Geschichte ist im vergangenen Schuljahr für die Schülerinnen und Schüler lebendig geworden. Auch und insbesondere durch Begegnungen und Gespräche mit Carl Goerdeler, dessen Großvater, Carl Friedrich Goerdeler, Widerstandskämpfer gegen die Nazis und beteiligt am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 war. Dessen Enkel war mit dabei am Mittwoch in der Gesamtschule Erle und erzählte von seinem Großvater, dem anerkannten Politiker und Wissenschaftler.
„Mein Großvater hatte eine großartige Bildung. Er war entsetzt über die Nationalsozialisten, denn sie höhlten das Rechtssystem aus, sie verfolgten Andersdenkende.“ Schon 1932 erkannte der damalige Oberbürgermeister der Stadt Leipzig die Gefahren und warnte davor. „Ich weiß, am Tag der Machtergreifung wartete meine Großmutter auf ihn. Er kam nicht nach Hause – weil er verhindern wollte, dass die Nazis auf dem Rathaus ihre Fahne hissen.“ Goerdeler habe zunächst versucht, auf Hitler einzuwirken. „Er wollte ihn überzeugen, von seiner Politik abzurücken.“ Ohne Erfolg.
Das Thema Widerstand hat auch einen aktuellen Bezug
Als während einer Reise das von Goerdeler geliebte und geschützte Denkmal für Felix Mendelssohn-Bartholdy vor dem Leipziger Gewandhaus entfernt wurde, stellte er ein Ultimatum: „Entweder das Denkmal kommt wieder, oder ich trete zurück.“ Es war das Ende seiner politischen Laufbahn – und der Beginn seines aktiven Widerstandes. „Mein Großvater sagte immer, man braucht einen großen Kreis von Widerständlern. Nur in der Masse könne man Hitler besiegen. So suchte er Verbündete.“ Und fand sie im Kreise derer, die schließlich am 20. Juli 1944 das Attentat verübten.
Nach dem missglückten Versuch wurde Carl Friedrich Goerdeler verhaftet, seine gesamte Familie wurde in Sippenhaft genommen. „Ich war damals neun Monate alt. Meine Mutter wurde von KZ zu KZ gebracht und wusste nie, ob wir Kinder noch leben.“ Der Großvater wurde im Februar 1945 hingerichtet. „Hitler hatte filmen lassen, wie seine Widersacher erhängt wurden und hat sich das abends angeschaut. So war er“, unterstrich der Enkel in Erle mahnend, dass Widerstand auch heute wichtig sei – gegen Putin. „Auch er will sich ein Land nach dem nächsten nehmen. Nie wieder Krieg! So sollte es in Europa sein. Und jetzt?“
Dazu passt eine der Botschaften, die die Schüler zum Abschluss des Abends formulierten. Mit ihnen verdeutlichten sie die Bedeutung von Widerstand in dieser Zeit. Eine der Thesen: „Widerstand hat niemals ein Ende.“