Gelsenkirchen. Die 22-jährige Selina wird von der KJS in Gelsenkirchen bei alltäglichen Dingen unterstützt. Wie die Hilfe ihr Leben positiv verändert hat.

„Ich möchte mit mir selbst im Reinen sein, ein vernünftiges, geregeltes Leben führen – und einen gut erzogenen Hund haben“, sagt Selina und lacht. Das klingt zunächst nach recht kleinen, leicht erreichbaren Zielen. Für die 22-Jährige aber sind es große. Ihr Start ins selbstbestimmte Leben läuft damals nicht so gut. Sie hat Schwierigkeiten in vielen Bereichen, besonders in der sozialen Interaktion. Aber sie macht einen ganz beachtlichen Schritt: Sie bittet um Hilfe. Die bekommt sie seit rund zwei Jahren von der KJS im ambulant betreuten Wohnen.

Schon mit 18 zieht Selina von zu Hause aus. Jedoch: „Ich hatte Probleme, mein Leben richtig aufzubauen.“ Die junge Frau findet nicht so recht in alltägliche Strukturen. Sie hat keinen Schulabschluss. Dazu einige andere Schwierigkeiten. Etwa im Umgang mit fremden Menschen. Aber auch mit Dingen, die für viele selbstverständlich sind. Etwa mit dem regelmäßigen Essen. Und auch damit, ihren Tageslauf zu gestalten. „Ich wusste, dass ich etwas ändern muss. Aber ich hatte keine Ziele, wusste nicht, welche Möglichkeiten ich habe. Also habe ich mit meiner Betreuerin im Jobcenter gesprochen. Sie hat mir vom Förderkorb erzählt.“

Mit kleinen Tricks teilt Selina aus Gelsenkirchen ihr Geld monatlich ein

Bald hat Selina so erstmals Kontakt mit der KJS, probiert die verschiedenen Maßnahmen aus – von Gesprächsangeboten über Werken bis hin zur Musikwerkstatt. „Aber das war überhaupt nichts für mich. Da waren zu viele fremde Menschen. Dann haben wir eine Alternative gesucht, wo ich allein betreut werde.“ Diese Möglichkeit bietet das ambulant betreute Wohnen. Karin Schäfer, Selinas sozialpädagogische Begleitung, verbringt drei Stunden in der Woche mit der jungen Frau – und macht, gemeinsam mit ihr, große Fortschritte.

Zusammen machen die Frauen Erledigungen, nehmen Termine wahr, heften die Post ab, sprechen über das Haushalten mit dem Geld. Das hat Selina gelernt. Erstmals hat sie in diesem April bis zum Monatsende Geld, erzählt sie und strahlt dabei vor Freude. Mehr noch: Sie hat etwas zurücklegen können. Dafür haben die beiden einen Trick entwickelt. „Es gibt so ein Büchlein, da sind Schweinchen drin. Und immer, wenn ich fünf Euro in die Spardose tue, darf ich eines davon ausmalen.“

Hündin gibt Selina Kraft und Motivation bei alltäglichen Dingen in Gelsenkirchen

Auch die Sache mit dem regelmäßigen Essen ist schon etwas besser. „Ich führe jetzt ein Ernährungstagebuch. Früher habe ich oft gar nichts gegessen. Dann hatte ich eine Phase der Fress-Sucht. Da habe ich zehn Kilo zugenommen. Die habe ich mir dann wieder runtergehungert. Momentan lerne ich, Mahlzeiten wahrzunehmen. Bislang habe ich nur abends gegessen. Jetzt übe ich, auch morgens zu essen.“ Dabei hilft ihr eine weitere Dame: Eine junge Hündin, die das Leben der Gelsenkirchenerin bereichert. „Wenn sie morgens mit Appetit in die Küche geht und frisst, bekomme ich auch Lust, etwas zu essen.“

Die Hündin hilft Selina auch, eine Tagesstruktur einzuhalten. „Durch sie habe ich nach langer Zeit wieder einen guten Schlafrhythmus. Und durch sie gehe ich überhaupt vor die Tür und unter Menschen, zum Beispiel in die Hundeschule. Das ist sehr anstrengend für mich. Aber sie ist es mir wert.“

Gelsenkirchenerin will Ängste überwinden, um ihre Träume zu verwirklichen

Nebenbei erzählt die sympathische junge Frau, dass sie eine kreative Ader hat, besonders die Musik liebt und selbst Songtexte schreibt und singt. Und davon, wie schön es wäre, die eigene Musik zu publizieren. Dabei lächelt sie und man spürt, das ist ein echter Traum für sie. Und gleich daraus werden die unsichtbaren Fesseln deutlich, die Selina noch zu sprengen hat. Denn initiativ zu werden, das traut sie sich nicht. Das Spannungsfeld zwischen Wünschen und Ängsten ist für sie Alltag. „Ich hoffe immer, ein Produzent kommt vorbei und hört mich durchs offene Fenster singen.“Das wird wohl nicht geschehen.

Wem die KJS helfen möchte

Aktuell bietet die KJS das ambulant betreute Wohnen für Menschen mit sozialen Problemen an, besonders für sogenannte „entkoppelte Jugendliche“, die den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen. Derzeit aber läuft das Anerkennungsverfahren dafür, dass bald auch Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogenproblemen betreut werden können.

Menschen, die Hilfe suchen dabei, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, können sich daher bei der KJS melden – ganz unabhängig vom Alter. Der Bedarf wird dann geprüft. Liegt er vor, regelt die KJS alles mit dem jeweiligen Kostenträger. Kontakt: oder 0209/38 968-291.

Also muss Selina weiter an sich arbeiten. Damit sie irgendwann den Mut, die Kraft und die Befähigung hat, sich kreativ zu verwirklichen. Denn in einem solchen Bereich kann sie sich auch vorstellen zu arbeiten. Mit Karin Schäfer hat die junge Frau auf jeden Fall das Gefühl, noch eine Menge schaffen zu können. Wie weit sie auf ihrem Weg schon gekommen ist, das vermag sie nicht zu sagen. Weil es kein konkretes Ziel gibt, ist auch die Wegstrecke kaum zu bemessen. Umso beachtlicher ist es, dass Selina weiter einen Schritt nach dem nächsten macht – in ein selbstbestimmtes Leben.