Gelsenkirchen. „So wenig Leute können ein ganzes Haus lahmlegen“: Beim Streik der Galeria-Beschäftigten zeigt sich, unter welchen Bedingungen sie arbeiten.

Es ist kurz nach 10 Uhr, ein eigentlich ganz gewöhnlicher Mittwoch in der Gelsenkirchener Innenstadt, ein Rolltor schiebt sich langsam nach oben. Rund ein Dutzend Kunden warten fragend vor der Glastür der Kaufhof-Filiale. Eigentlich sollte doch längst geöffnet sein, was einmal ein Stolz der Bahnhofstraße war. „Die bestreiken uns, wir haben im Moment kein Personal, einen Augenblick wird’s noch dauern“, sagt ein Mann, als er vor die Tür tritt. Es ist der Kaufhaus-Detektiv, wie später klar wird.

Eine weitere Protest-Aktion nach der am vergangenen Samstag. Die Gewerkschaft Verdi hat die Streiks bei der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof ausgeweitet, für Mittwoch, 12. April, hatte sie die Beschäftigten in Berlin, Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz und eben Nordrhein-Westfalen aufgerufen, die Arbeit niederzulegen.

Streik bei Kaufhof in Gelsenkirchen: Sechs Mitarbeiterinnen legten den ganzen Laden lahm. Mit einer Wäscheleine und selbst bemalten T-Shirts machten sie auf sich aufmerksam.
Streik bei Kaufhof in Gelsenkirchen: Sechs Mitarbeiterinnen legten den ganzen Laden lahm. Mit einer Wäscheleine und selbst bemalten T-Shirts machten sie auf sich aufmerksam. © Privat

In Gelsenkirchen folgen dem Aufruf am Mittwochmorgen zunächst sechs Mitarbeiterinnen des Stammpersonals – und das so traditionsreiche Kaufhaus bleibt erstmal zu. „So wenig Leute können ein ganzes Haus lahmlegen“, sagt eine Kaufhof-Mitarbeiterin, die auch Teil des Betriebsrates ist. Nebenbei hängt sie den Verdi-Streikaufruf im DIN-A4-Format an die riesigen Glastüren. Der letzte Satz: „Gerecht und nachhaltig geht anders!“

Kaufhof Galeria: Streik von wenigen Mitarbeiterinnen legt das ganze Haus lahm

Sie haben ihre Verdi-Westen angezogen, ein Tisch steht bereit, später wollen sie noch eine Wäscheleine spannen und weiße Shirts daran hängen. Die Bedeutung der Aktion, so Gewerkschafterin Anja Sabrowski: „Wir haben unser letztes Hemd gegeben“. Die 52-Jährige arbeitet seit 30 Jahren für den Kaufhof. Nun will sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen aufmerksam machen, darauf, „wie man mit uns umgegangen ist“. Dass nie auf die Mitarbeiter gehört worden sei, es kein Investment ins Haus gegeben habe.

„Wir sind die Menschen bei Galeria, wir kämpfen für unsere Zukunft“: Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Streik aufgerufen, die Mitarbeiterinnen des Kaufhofs in Gelsenkirchen beteiligten sich – und legten erstmal das Geschäft lahm.
„Wir sind die Menschen bei Galeria, wir kämpfen für unsere Zukunft“: Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Streik aufgerufen, die Mitarbeiterinnen des Kaufhofs in Gelsenkirchen beteiligten sich – und legten erstmal das Geschäft lahm. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Und: Dass am Personal gespart worden sei, immer wieder, immer weiter. Mittlerweile arbeiten nur 30 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gelsenkirchen. Unterstützung gibt es von Aushilfskräften. Dabei ist das doch das ganz große Pfund, mit dem ein Warenhaus wie Kaufhof stets wuchern konnte – die Beratung, die Betreuung durch das Personal.

Teilweise, das berichten die Streikenden auch, würde die ganze untere Etage leer und ohne Personal sein. Und die Parfüm-Abteilung verwaise, das sei früher undenkbar gewesen – bringt das nicht mehr Diebe ins Haus? „Das hat die Inventur gezeigt“, deutet eine Mitarbeiterin an. Noch so eine Sache, für die die Frauen keinerlei Verständnis haben.

Kaufhof-Streik Gelsenkirchen: Mitarbeiterinnen kämpfen für gerechte Gehälter

Und auch dafür nicht: Dass die Galeria-Geschäftsführung vor der nächsten Tarifrunde (angesetzt für den 27. April), deutlich gemacht hat, dass sie in Anbetracht des noch laufenden Insolvenzverfahrens und der geplanten Modernisierung vieler Filialen in den nächsten drei Jahren keinen Spielraum für eine Rückkehr in den Tarifvertrag sehe. „Die Belegschaften stecken seit vielen Jahren Geld in die Sanierung des Unternehmens und verzichten auf bis zu 5500 Euro jedes Jahr“, sagte Marcel Schäuble, Verdi-Verhandlungsführer bei den Tarifverhandlungen. Wofür sie an diesem Mittwoch in Gelsenkirchen ja auch kämpfen: Dass die, die bleiben, gerechte Gehälter bekommen.

Es werde noch viel Kraft kosten, bis zum Ende durchzuhalten, sagt die Kaufhof-Mitarbeiterin, die den Hinweis an die Türen gebracht hat. Hier sei es wie in einer Familie. „Es gibt Tage, da heule ich Rotz und Wasser“, berichtet sie auch.

Mitten im Eingang der Filiale in der City steht derweil ein Aufsteller, der zu Bewerbungen auffordert. Das wirkt schon ein bisschen surreal – die Kaufhof-Frauen erklären, weiterhin würden Aushilfen eingestellt.

„Job weg – Danke Benko“: Mit einer Aktion machten die Kaufhof-Mitarbeiterinnen während des Streiks auf der Gelsenkirchener Bahnhofstraße auf sich aufmerksam.
„Job weg – Danke Benko“: Mit einer Aktion machten die Kaufhof-Mitarbeiterinnen während des Streiks auf der Gelsenkirchener Bahnhofstraße auf sich aufmerksam. © Privat

Vorbeilaufende Gelsenkirchener haben Verständnis. „Die haben nichts mehr zu verlieren und die Motivation geht ja auch verloren“, sagt Birgit Papenkordt, die vor 40 Jahren mit ihrem Mann in die Stadt gekommen ist. Auf der Bahnhofsstraße sei bald nichts mehr, wo die beiden einkaufen gehen würden, ergänzt ihr Mann Friedel. „Alles Gute für Euch!“, ruft eine Frau den Streikenden zu. „Meine Mutter hat das hier mit eröffnet und hier gearbeitet“, sagt sie. Die gesamte Situation, wie mit den Menschen umgegangen wird, sei schlimm, ergänzt sie.

Es ist mittlerweile 10.45 Uhr, als die Türen dann doch noch aufgeschlossen werden. Ein weiterer Tag des großen Ausverkaufs, der mit nunmehr 30-Prozent-Rabatt an den Kaufhaus-Scheiben wirbt. Aushilfskräfte übernehmen heute Beratung und Verkauf, die Kaufhof-Mitarbeiterinnen werden ihren Laden heute nicht mehr betreten. Am frühen Nachmittag sind die Streik-Frauen zufrieden, einerseits – aber auch enttäuscht: Das Interesse an ihnen, ihrem Schicksal, dem des Hauses sei eher gering gewesen, berichtet Anja Sabrowski. Ihr Streik endet um 24 Uhr in der Nacht. Und am Donnerstag geht der Ausverkauf weiter.