Gelsenkirchen/Bünde. Mit fingierten Krankenscheinen soll ein Trockenbau-Unternehmen Versicherungen betrogen haben. Involviert sei auch ein Gelsenkirchener Arzt.

In Bünde, 20 km nördlich von Bielefeld, müssen sich seit Montag mehrere Männer vor dem Amtsgericht verantworten, denen vorgeworfen wird, sie hätten mit fingierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Krankenversicherungen um Tausende Euro betrogen. Systematisch sollen die Geschäftsführer eines Trockenbau-Unternehmens aus dem Kreis Herford ihre Mitarbeiter krankschreiben haben lassen, um Ausgleichszahlungen zu erhalten, während die vermeintlich kranken Arbeitnehmer tatsächlich auf den Baustellen weiter arbeiteten. Einer der Ärzte, die bei dem Schwindel mitgewirkt haben sollen, ist ein Gelsenkirchener Psychiater.

Vor dem Amtsgericht laufen nun Prozesse gegen einen einfachen Mitarbeiter des Unternehmens und einen Bauleiter, die sich von „eingeweihten und mitwirkungsbereiten Ärzten krankschreiben ließen, obwohl sie tatsächlich nicht erkrankt waren“, heißt es in der Anklageschrift.

Das Trockenbauunternehmen habe im Fall des Bauleiters nicht nur Ausgleichszahlungen in Höhe von fast 3.000 Euro von der Krankenkasse erhalten. Teilweise habe der Bauleiter „in Betrugsabsicht auch die Auszahlung von Krankengeld beantragt, das in einer Gesamthöhe von ca. 14.000 Euro auch an ihn ausgezahlt worden sei“, heißt es beim Bündener Amtsgericht.

Gelsenkirchener Arzt soll 250 Euro pro fingiertem Krankenschein bekommen haben

In zahlreichen Fällen sollen die Angestellten des Bauunternehmens auf Veranlassung der Chefs zu Ärzten geschickt und dort oftmals wegen verschiedenster Leiden krankgeschrieben worden sein. Während dafür bei den Versicherungen Ausgleichszahlungen geltend gemacht wurden, sollen die vermeintlich kranken Mitarbeiter aber tatsächlich auf den Baustellen des Unternehmens ganz normal gearbeitet haben. Der entstandene Schaden liege bei mindestens 160.000 Euro.

Meistens hätten die oft schlecht Deutsch sprechenden Arbeiter ihre Krankenkassenkarten bei ihren Arbeitgebern abgeben müssen. Anschließend erfolgte unter Nutzung dieser Versichertenkarten durch dritte Personen, die eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit den Versicherten aufwiesen, eine Krankschreibung entweder durch in das System eingeweihte oder auch gutgläubige Ärzte, häufig ohne Wissen der versicherten Arbeitnehmer. Ein Allgemeinmediziner aus Bünde und der Psychiater aus Gelsenkirchen seien allerdings in die Machenschaften eingeweiht gewesen, so die Staatsanwaltschaft.

Sie hätten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – mitunter sogar ohne dass die Arbeiter bei ihnen überhaupt persönlich vorstellig geworden seien – ausgestellt. Der Arzt aus Gelsenkirchen soll für fingierte Krankschreibungen 250 Euro erhalten haben, wie die Staatsanwaltschaft auf WAZ-Nachfrage erklärt.

Auf die Schliche gekommen sind die Behörden den vermeintlichen Betrügern nach einer Prüfung der Geschäftsunterlagen des Hauptzollamts im Jahr 2016. Als sich der Verdacht erhärtete, wurden Telefongespräche zwischen Beteiligten abgehört und die mutmaßlichen Kriminellen von Fahndern observiert. Ein Ermittler erklärte vor dem Amtsgericht in Bünde, dass einige krankgeschriebene Arbeiter gar nicht gewusst haben sollen, dass ihnen eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden sei. Bei einem Arzt in Gelsenkirchen seien sie überdies schon gar nicht gewesen. Ein Zeuge, der ebenfalls von dem Gelsenkirchener Psychiater krankgeschrieben wurde, fragte während der Verhandlung gar: „Wo ist Gelsenkirchen überhaupt?“.

Gelsenkirchener Arzt wegen Beihilfe zum Betrug angeklagt

Oberstaatsanwalt Gerald Rübsam berichtet unserer Redaktion, dass gegen etwa drei Dutzend Beschuldigte (Geschäftsführer, Arbeitnehmer, Ärzte) Ermittlungen aufgenommen wurden. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft bescheinigte der beschuldigte Arzt aus Gelsenkirchen den Arbeitnehmern für 250 Euro unzutreffend depressive Erkrankungen und schrieb sie regelmäßig für vier Wochen krank. Häufig seien sogar gleich mehrere Arbeitnehmer taggleich wegen derselben Erkrankung arbeitsunfähig krankgeschrieben worden.

„Im Tatzeitraum von Frühjahr 2015 bis Herbst 2018 wurden nach den bisherigen Ermittlungen ungerechtfertigt Ausgleichszahlungen von insgesamt rund 90.000 Euro und Krankengeld von insgesamt rund 70.000 Euro gezahlt“, so Oberstaatsanwalt Rübsam.

Vor dem Landgericht Bielefeld ist daher unter anderem einer der Geschäftsführer als Organisator des Systems wegen Betrugs angeklagt. Zudem sind zwei Ärzte – darunter der Mediziner aus Gelsenkirchen – wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse und Beihilfe zum Betrug angeklagt.