Gelsenkirchen. Trotz hoher Zinsen: In einem Gelsenkirchener Neubaugebiet lief die Vermarktung in „Rekord-Tempo“. Doch für manche platzt der Traum vom Haus.

Trotz der stark gestiegenen Zinsen für Baudarlehen: Mit „Rekordgeschwindigkeit“ sei die Vermarktung in der Neubausiedlung „Wohnen am Glückaufpark“ vonstattengegangen, meldete jetzt die RAG Montan Immobilien GmbH. Damit soll Gelsenkirchen auf rund 50.000 Quadratmetern ein „nachhaltiges Vorzeigequartier“ im Süden des Stadtteilparks bekommen. Bis Ende 2026 sollen alle Gebäude auf den 36 Wohnbauflächen errichtet sein; bereits im März könnten bereits erste Bautätigkeiten beginnen. „Das Warten hat damit für viele junge Grundstückbesitzer ein Ende, die bereits einen Bauantrag gestellt haben“, zeigt man sich bei der RAG erfreut. Doch für zahlreiche Familien ist auch ein Traum geplatzt.

Denn wie die RAG Montan Immobilien auf WAZ-Nachfrage ergänzte, sind zirka 30 Prozent der Bewerber „aufgrund der gestiegenen Finanzierungskosten abgesprungen“. Auf der Warteliste für ein neues Heim in Hassel seien aber immer noch „ausreichend ,Nachrücker’ vorhanden gewesen“, heißt es. Es sei aufgrund der Zinssteigerungen an den Märkten also zwar „zu einer Konsolidierung auf Nachfrageseite gekommen“, dennoch seien noch weitaus mehr Bewerber als Angebote vorhanden gewesen.

Sparkasse Gelsenkirchen: Bausparvertrag wird wieder wichtiger

Grünes Quartier

Das neue Wohnquartier am Glückaufpark bezeichnet die RAG als „nachhaltiges Vorzeigequartier“, weil die Doppel-, Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser hier „durch den Einsatz von erneuerbaren Energien und effizienter Technik dezentral und CO2-neutral versorgt werden sollen.“ Genutzt werden soll dabei Geothermie und Photovoltaik. „Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit des neuen Wohnquartiers wird die Spitzenlastabdeckung über eine zentrale Luft/Wasser-Wärmepumpe sichergestellt“, heißt es.

Hinter diesem Konzept steckt die „Grüne Quartiere GmbH“, ein Joint Venture der Unternehmen Eon und Uniper Wärme, das vom Bundeswirtschaftsministerium bis zum Jahr 2025 gefördert wird. Das Quartier in Hassel ist eines von nur vier geförderten Quartieren des Projektes „TransUrban.NRW

Doch wie sieht die Lage insgesamt in der Stadt aus? Platzen bereits reihenweise Träume vom Eigenheim, weil Kreditnehmer inzwischen mit einem Zins von etwa 4 Prozent für eine zehnjährige Finanzierung rechnen müssen? Sparkassen-Sprecher Frank Krallmann beobachtet einen „leichten Rückgang“ bei dem Interesse an Immobiliendarlehen aus seinem Hause. „Im Vergleich zu 2021 gab es 2022 im Baufinanzierungsgeschäft etwa einen Rückgang um zehn Prozent“, sagt er.

Kunden, die man vor einiger Zeit bereits zur Beratung getroffen habe, müsse man nun wo ganz anders abholen. „Viele gehen noch von geringeren Zinsen aus. Und dann wird der ein oder andere böse überrascht“, berichtet Sparkassen-Bereichsleiter Dirk Heemann. So könnten zwar immer weniger Kunden ein Baudarlehen stemmen, aber dafür rücke der Bausparvertrag bei den Beratungen wieder vielmehr in den Mittelpunkt. „Der Bauspardarlehenszins liegt schließlich deutlich unter dem Marktzins“, ergänzt Krallmann.

Förderprogramme für junge Familien, die bauen wollen: Das plant die Politik

Wie sich Interesse an den Baufinanzierungen 2023 entwickelt und ob mehr oder weniger Familien ihre Finanzierung künftig durchbekommen, das liegt nach Auffassung der Sparkassen-Männer auch stark an der Politik. Neben den seit Jahren bestehenden „Standard-Programmen“ wie dem KfW-Wohn­eigentums­programm mit einem Kreditbetrag von bis zu 100.000 Euro oder dem zinsgünstigen Darlehen der NRW-Bank für Personen und Familien mit kleinen und mittleren Einkommen gebe es schließlich keine Sonderprogramme mehr für Familien, so wie etwa das mittlerweile ausgelaufene Baukindergeld. „Da wird es wieder etwas geben müssen, um den Bau entsprechend zu fördern“, resümiert Dirk Heemann.

Zwar soll es ab Juni 2023 einen Nachfolger des Baukindergeldes vom Bund geben – der soll allerdings nur für klimafreundliche Neubauten gelten und lediglich in Form eines KfW-Darlehens beantragt werden können, also keine Direktzahlung darstellen.

Volksbank Ruhr-Mitte: Zins ist historisch weiterhin tief – Immobilienkauf kann sich weiterhin lohnen

Auch bei der Volksbank Ruhr-Mitte heißt es zum Thema Immobiliendarlehen: „Das Interesse ist nach wie vor da, aktuell aber etwas geringer.“ Markus Krebs, Leiter der Baufinanzierung, macht jedoch darauf aufmerksam, dass das Zinsniveau „historisch gesehen“ noch niedrig sei. In den 1990er Jahren beispielsweise hätten Kreditnehmer 7 bis 8 Prozent Zinsen für ein Hypothekendarlehen gezahlt, Mitte der 2000er Jahre seien es 4 bis 5 Prozent im Jahr gewesen. „Wer derzeit über den Kauf oder Bau einer Immobilie nachdenkt oder umfänglichere Sanierungsmaßnahmen plant, sollte sich diese im historischen Vergleich immer noch niedrigen aktuellen Zinsen deshalb sichern“, meint Krebs. „Gleiches gilt für Darlehensnehmer, bei denen in ein bis drei Jahren eine Anschlussfinanzierung ins Haus steht.“

Träume müssten nicht unbedingt platzen, „müssen aber zumindest öfter dahingehend angepasst werden, so dass Zugeständnisse bei der Größe und auch der Art der Immobilie gemacht werden müssen“, sagt Krebs – und beobachtet deshalb das, was auch bei der Vermarktung am Glückaufpark festzustellen ist. „Durch den Rückzug einiger Kaufinteressenten kommen auch wieder Suchende zum Zuge, die bisher auf Wartelisten für den Immobilienkauf standen. Dies konnten wir zum Beispiel beim Baugebiet Buerschen Waldbogen beobachten.“ Deshalb lohne sich immer zu prüfen, ob Interessenten irgendwo abgesprungen sind. „Aktuell jedenfalls“, hält Krebs fest. „Sind mehr Immobilienangebote vorhanden als noch vor einem Jahr – auch wenn die Auswahl an geeigneten Eigenfamilienhäusern weiterhin geringer als der Bedarf ist.“